„Kleine Verlierer“ – diese Überschrift findet sich über einem von mehreren Artikeln zum unlängst veröffentlichten Abschlussbericht einer Corona-Kita-Studie, die von Mitte 2020 bis 2022 gemeinsam vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) und dem Robert-Koch-Institut (RKI) durchgeführt wurde. Ein ganz wesentliches Ergebnis dieser Studie, die für die „kleinen Verlierer“ allerdings etwas zu spät kam, fasste der Gesundheitsminister Lauterbach wie folgt zusammen: „Nach aktuellem wissenschaftlichen Stand wären die Kitaschließungen zu Beginn der Pandemie nicht nötig gewesen“. Und die Familienministerin Lisa Paus ergänzte: „Kinder und Jugendliche haben erheblich gelitten, und zwar nicht unter der Infektion selbst, sondern unter den Eindämmungsmaßnahmen“.
Dieser Form von „Selbstkritik“ hat sich Ende November auch der „Deutsche Ethikrat“ mit einem Statement „Pandemie und psychische Gesundheit“ angeschlossen, in dem u.a. zu lesen ist, dass die Gesellschaft während der Pandemie Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vieles schuldig geblieben sei. Dass diese Einsicht erst erfolgte, nachdem sich der Ethikrat Ende September dieses Jahres – also fast 3 Jahre nach Beginn der Pandemie – erstmals direkt mit Kindern und Jugendlichen zusammengesetzt hat, um deren Stimme zu hören, besagt einiges über die Arbeit auch dieses Gremiums. Von Lehrerverbänden und Gewerkschaften, die sich seinerzeit vehement für die Schließungen von Kitas und Schulen eingesetzt haben, um explizit nicht die Kinder, sondern ihre Klientel zu schützen, ist derzeit noch nichts zu hören.
Nun ist also auch der „Ethikrat“ in seiner „Ad-hoc-Empfehlung“ zu der Auffassung gekommen, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nicht noch einmal derartig einseitig in ihrer Lebensentfaltung beschränkt werden dürften. Ganz so, als wäre bislang nicht bekannt gewesen, dass Einsamkeit, Selbstisolation und überhaupt der Mangel an sozialen Kontakten bei mehr als einem Drittel der Kinder und Jugendlichen zu Ängsten, Traurigkeit, Rückzug, Essstörungen oder psychosomatischen Symptomen geführt haben, und die Wartelisten für eine psychosoziale Betreuung während der Pandemie immer länger wurden.
Wie aber den Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche begegnen, wenn Kitas chronisch unterfinanziert sind, wenn Erzieher*innen mit all diesen neu entstandenen Problemen allein gelassen wurden und immer noch werden? Wenn in den meisten Schulen professionelle Anlaufstellen fehlen, um den psychosozialen Folgen der Pandemie eines Teils ihrer Schüler*innen angemessen zu begegnen?
Davon habe ich bei meinen letzten Vorträgen und Workshops in Kitas oder Schulen immer wieder gehört und fühlte mich gegenüber solchen Äußerungen mit der Zeit auch selbst immer machtloser. Wozu über pädagogische Beziehungskompetenz sprechen, über die Pandemiefolgen und was sie mit den von viel zu wenig Fachkräften betreuten Kindern machen? Wozu die Kolleg*innen zu „spürenden Begegnungen“ ermuntern, wenn sie von staatlichen Institutionen, von den Jugendämtern und manchmal auch von ihren Vorgesetzten viel zu oft im Stich gelassen werden? Nicht dass sie sich ihrer Verantwortung den Kindern gegenüber nicht bewusst wären, aber ihre Arbeitsverhältnisse lassen es meistens gar nicht zu, sich um die zu kümmern, die unter der Pandemie am meisten gelitten haben. Auch deswegen, weil sie sich im Verlauf der Pandemie selbst zunehmend kaputt, ohnmächtig und ausgebrannt gefühlt haben.
Es bleibt abzuwarten, ob sich nun, nach all den selbstkritischen Bekundungen von Verbänden und Expert*innen, wirklich etwas ändert. Vor Ort ist davon jedenfalls nur wenig zu spüren. Im Gegenteil. An einer Schule wurde mir im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung mitgeteilt, dass die von den „Corona-Geldern“ bezahlten Sozialarbeiter ihre Tätigkeit zum Jahresende beenden würden, weil die Mittel dafür im neuen Jahr nicht mehr zur Verfügung stünden.
Mehr Praxistipps und Informationen:
Udo Baer und Claus Koch: Corona in der Seele. Was Kindern und Jugendlichen wirklich hilft. Stuttgart: Klett-Cotta 2021