Auf den Hund gekommen

von Claus Koch

Dressieren Sie Ihr Kind mit der „Hund-Kind-Methode“ wie einen Hund und alles wird gut. Das zumindest empfiehlt die Hundetrainerin Aurea Verebes in der vom Fernsehsender RTL Anfang Januar dieses Jahres zur besten Sendezeit um 19 Uhr auf den Weg gebrachten Serie „Train Your Baby like a Dog“: „Was tun, wenn das Kind ständig schreit, die Familie auf Trab hält und andere ärgert? Hilfe kommt jetzt aus der modernen Hundeerziehung – die ‚positive Verstärkung‘.“ (Originaltext RTL)

Zielgruppe dieser Sendung sind, seit es solche Fernsehformate gibt, Eltern, deren Kinder partout nicht das tun wollen, was von ihnen verlangt wird. Und die damit öffentlich zur Schau gestellt werden: Kinder, die nicht einschlafen wollen, Kinder, die keine Ruhe geben und stattdessen ständig in Bewegung sind, Kinder, die statt bedingungslos zu gehorchen, sich dem elterlichen Kommando widersetzen, Kinder, die nicht essen wollen, was auf den Tisch kommt, die nicht leisten, was Schule und Elternhaus von ihnen verlangt – das ganze klassische Programm. Die Frage nach dem „Warum“ kindlichen Verhaltens wäre solchen Formaten viel zu „intellektuell“, mit anderen Worten zu kompliziert und zeitraubend, wenn es doch auch einfacher geht.

Stattdessen also, um solche Kinder wieder in den Griff zu bekommen, die „in den USA und Großbritannien bereits bewährte ‚Hund-Kind-Methode‘“ anwenden. Dies geschieht, indem das von den Kindern gewünschte Verhalten mittels „Klicker“, einem akustischen Signal, belohnt wird, das schon dem Pawlowschen Hund zum Speichelfluss verhalf. Hinzukommen andere „Belohnungen“, um das aversive Geschehen in den Griff zu kriegen. Auf diese Weise soll unerwünschtes Verhalten „gelöscht“ werden, wie ein solcher Konditionierungsvorgang in der Fachsprache der Verhaltenspsychologie gerne genannt wird. Und sich das Kind endlich so benehmen, wie seine Eltern es von ihm erwarten. Im Magazin „Focus“ assistiert eine Entwicklungspsychologin diesen Ansatz mit den Worten, dass sich derlei Grundprinzipien der Verhaltenstherapie eben nicht nur auf Tiere, sondern genauso gut auch auf Menschen anwenden lassen. Um immerhin einzuräumen, dass Kinder, auch wenn sie sich beliebig konditionieren ließen, eben doch keine Hunde seien. Man ist versucht, an dieser Stelle einzuhalten und eine Glosse zu schreiben. Wobei einem sofort der Dackel einfällt, der mit der an einer Angelschnur befestigten Wurst vor der Nase dieser solange hinterherläuft, bis er sie sich schnappt und endlich Ruhe gibt. Zumindest solange, bis er Lust bekommt, eine neue Wurst zu verspeisen.

Aber damit würde es man sich zu einfach machen, denn die Sendung wendet sich ja an keine Hundeliebhaber, sondern an verzweifelte Eltern, die mit ihren Kindern nicht mehr klarkommen. Ihnen, die tatsächlich Hilfe brauchen, wird, übrigens mit „wissenschaftlicher Begleitung“ eines Kinder- und Jugendtherapeuten, eingeredet, ihre Kinder wie einen Hund zu behandeln, damit sie mithilfe von positiver Verstärkung endlich tun, was man von ihnen will. Das Erziehungsziel wird dabei ebenso wenig verhandelt und in Frage gestellt, wie die Methode selbst.

Weil den Kindern auf diese Weise ihr Eigen-Wille und ihre Würde genommen wird und man sie dadurch zu willfährigen Werkzeugen ihrer Eltern macht, rief die Sendung bereits vor ihrer Ausstrahlung einen ziemlichen Proteststurm hervor, bis dahin, sie mit einer Online-Petition gänzlich zu verhindern. Und auch die ehemalige „Super-Nanny“ von RTL, die am Anfang ihrer gleichnamigen, sehr erfolgreichen Sendung bis zu ihrer eigenen Läuterung mit ähnlichen Erziehungsprinzipien unterwegs war, kritisierte lautstark die in diesem Format ausgestellte „schwarze Pädagogik“.

Tatsächlich wird mit der „Hund-Kind-Methode“ die Beziehung zwischen Eltern und Kind auf Dressur reduziert. Schlimmer noch: Die Eigenständigkeit des Kindes und sein Wille werden gebrochen, die Frage nach dem Sinn jeglichen kindlichen Verhaltens wird für obsolet erklärt. Das mag solange gutgehen, wie das Kind sich den Belohnungsanreizen fügt und dabei nach und nach seine Eigen-Würde verliert. Das im Rahmen dieser „Hundeerziehung“ eingesetzte mechanisch-sture Belohnungsprinzip dient zudem, wie jedes einseitig verwandte Belohnungssystem, als ein nur ungenügender Ersatz für die bedingungslose Liebe und den Respekt, die Eltern ihren Kindern eigentlich entgegenbringen sollten, worauf der Kinderpsychologe Alfie Kohn schon vor Jahren hingewiesen hat. Zudem: Kinder sind schlau und spüren sehr wohl, was da mit ihnen geschieht.

Was also, wenn sich das Kind weiterhin auflehnt, weil seine existenziellen Bedürfnisse nach Sicherheit und Geborgenheit, nach Anerkennung und Selbstwirksamkeit durch derlei Erziehung nicht gewahrt werden? Folgt dann, wovon in dieser Sendung nicht die Rede ist, die Strafe auf dem Fuß: „Aus! Sitz!“ Wie mit der neuerlichen Hilflosigkeit der Eltern umgehen, wenn die „Hund-Kind-Methode“ nicht greift? Schließlich gehört auch Bestrafung zu gängiger Hundeerziehung.

Die Konsequenzen solcher Erziehung zu Unmündigkeit und Unterwürfigkeit sind wissenschaftlich gut belegt: Die Aggression des Kindes richtet sich statt gegen seine Peiniger, von denen es nach wie vor abhängig ist, gegen andere. Meistens sind es diejenigen, die als noch schwächer als man selbst ausgemacht werden. Oder das Kind verstummt ganz und passt sich der Befehlsgewalt anderer wortlos an. Nicht die Erwachsenen, die mit solchen Sendungen Quote machen wollen, nicht Fachleute, die die sie bei diesem Ansinnen unterstützen, bleiben beschädigt zurück, sondern die Kinder selbst, die sich gegen derlei gefährlichen Unsinn nicht, oder mit nur ungenügenden Mitteln zur Wehr setzen können.

 

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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