Beziehung tut gut

Ein Manifest für Beziehungskompetenz in Kita, Schule, Unterricht und Sozialarbeit

Dr. Udo Baer, Dr. Claus Koch, Pädagogisches Institut Berlin

Die Einsicht, dass Beziehungsförderung der pädagogischen Arbeit nützlich ist, nimmt zu. Aber oft bleibt es bei einer abstrakten Forderung oder die Beziehungssuche zum Kind oder Jugendlichen wird als Trick propagiert, um bei ihnen bessere Leistungen oder Wohlverhalten zu erreichen. Ein ganzheitlicher Blick darauf, was unter Beziehung überhaupt zu verstehen ist und wie sie praktisch gelebt und gefördert werden kann, findet so nicht statt. Darunter leiden Kinder und Jugendliche, aber auch Erzieher*innen, Pädagog*innen und alle anderen, die professionell mit Kindern zu tun haben. Wir fordern, Beziehungsförderung in den Mittelpunkt des pädagogischen Handelns zu stellen

   1  Was bedeutet Beziehung im pädagogischen Kontext?

Wir halten die Perspektive des Kindes für wichtig und unabdingbar. Ein Kind kommt in Beziehungen auf die Welt, bereits vor seiner Zeugung und schon im Mutterbauch. Es wächst in Beziehung und durch Beziehung. Wenn Pädagogik Kinder fördern und unterstützen will, dann muss sie auf diesen Beziehungserfahrungen und Beziehungsnotwendigkeiten aufbauen. Wir dürfen und wollen nicht nur den pädagogischen Erwachsenenblick zum Ausgangspunkt und zur Grundlage unserer Überlegungen nehmen. Das ist schwierig, denn wir sind Erwachsene. Und das ist möglich, denn wir waren selbst Kinder und wir können uns in Kinder hineinversetzen.

Beziehungen sind Begegnungen zwischen zwei und mehr Menschen, die besondere Merkmale haben:

  • In ihnen findet Resonanz, also ein wechselseitiger Austausch von Gefühlen, Körpererleben, Gedanken und anderen Elementen des Erlebens statt.
  • Beziehungen brauchen Kontinuität. Sie müssen sich entwickeln können und wachsen.
  • Beziehungen beinhalten Respekt voreinander.
  • Beziehungen basieren auf einem wachsenden Vertrauen, dem Vertrauen, dass Lehrende und Erziehende die Kinder unterstützen und fördern, und die Kinder zumindest versuchen, die Unterstützung und Förderung anzunehmen.
  • Beziehung bedeutet, sich anzuschauen und zuzuhören.

   2  Warum Beziehungsförderung?

Beziehung ist kein Mittel zum Zweck, sondern Boden jeden pädagogischen Handelns, ist Selbstzweck. Pädagogik lebt immer in und über Beziehungen. Selbst schwarze Pädagogik ist Beziehung: auch Dressur beruht auf Beziehung. Wenn wir die Bedeutung der Beziehungen im Pädagogischen erfassen wollen, müssen wir über die besonderen Qualitäten von Beziehungen reden. Ohne authentisch erlebte Beziehungen gelingen keine nachhaltigen Lernprozesse.

   3  Was fördert Beziehung, was hemmt?

Dass Beziehungen und Beziehungsfähigkeit gefördert werden sollen, reicht nicht. Es geht darum, wie das geschehen kann und soll. Dazu müssen wir uns damit auseinandersetzen, was Beziehungen und Bindungsfähigkeit im pädagogischen Feld fördert und was ihnen entgegensteht. Wir wissen, dass Missachtung und Druck auf die Kinder Beziehungsentwicklung hemmen, dass Achtung, Spiel, Interesse und Würdigung Beziehung fördert.

   4  Was sind Beziehungsstörungen?

Wer im pädagogischen Feld Beziehung fördern will, muss akzeptieren, dass es Störungen des Beziehungsvermögens gibt. Nicht nur bei den Kindern und Jugendlichen, sondern bei allen im pädagogischen Feld Tätigen und Beteiligten: Erzieher*innen, Lehrer*innen, Sozial-Pädagog*innen, Eltern und vielen anderen.

Wir sollten solche Beziehungsstörungen verstehen. Dazu müssen wir nach deren Quellen schauen: Bindungsstörungen, Gewalt, Leere-Erfahrungen, seelische und soziale Verwahrlosung, Beschämung und andere mehr. Nur dann können wir Möglichkeiten der Verbesserung erkunden. Nach den Quellen von Beziehungsstörungen zu schauen, ist sicherlich Aufgabe von Therapeut*innen. Doch auch Kita, Schule und Sozialarbeit können und müssen dazu beitragen, auf das, was hinter den Beziehungsstörungen liegt, würdigend einzugehen.

   5  Was brauchen Lehrende?

Schwimmen kann man nicht lernen, ohne ins Wasser zu gehen und nass zu werden. Beziehungspädagogisch wirken gelingt nur, wenn wir als pädagogische Fachkräfte akzeptieren, dass wir immer Teil von Beziehungen sind. Andere Menschen zu berühren, impliziert, berührt zu werden. Doch was heißt das? Was bedeutet das für das Verstehen der eigenen Persönlichkeit im pädagogischen Beruf? Wie wirken biografische Erfahrungen in die Beziehungstätigkeit hinein? Wie können wir damit umgehen, wie können wir unsere Erfahrungen nutzen? Solchen Fragen muss sich Beziehungspädagogik stellen.

Sich mit der Beantwortung dieser Fragen auseinanderzusetzen, muss auch Teil der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften werden. Sie brauchen Fortbildung und Unterstützung.

   6  Was brauchen Institutionen wie Schule und Kita?

Sie brauchen Fortbildungen und Supervision, um die Schwierigkeiten, die „herausfordernden Kinder“ bereiten, besprechen zu können und anzugehen. Sie brauchen multiprofessionelle Teams, kollegiale Fallberatung und Unterstützung als Institution und Einzelpersonen. Neue Computer kann man kaufen, neue Kinder nicht.