Von Baggern und Baustellen

von Claus Koch

Fast täglich begegnen uns Kinder, die ehrfurchtsvoll und mit großer Aufmerksamkeit die Arbeiten auf einer Baustelle betrachten. Alle Eltern kennen das: ihre Kinder vom Anblick einer Baustelle nicht mehr wegzubekommen. Es sind schon die unter Zweijährigen und keinesfalls nur die Jungen, die der Anblick und die immense Kraft von großen Baumaschinen fasziniert – ob (bevorzugt) Bagger, deren Ausleger und Schaufeln an menschliche Arme und Hände erinnern, aber ebenso Baukräne, Presslufthammer, Lastwagen, die Erde abladen oder Straßenwalzen. Und auf dem Land sind es die Traktoren, von deren Anblick die Kinder nicht lassen können.

Wenn sie Glück haben (und die meisten haben es!) bleiben Mütter, Väter, Großeltern oder Erzieher*innen vor Bauzäunen mit ihren Kindern stehen und teilen deren Staunen, was sich da vor ihren Augen alles abspielt. Bei den Kleinen scheinen es vor allem die Bewegungen der für sie monstermäßigen Maschinen zu sein, die sie bewundern, das Auf und Ab, das Hin und Herr, dass Füllen und wieder etwas Ausleeren. Ein ständiges „Fort und Da“, „Verschwinden“ und „Wieder-zum Vorschein-Kommen“, das nahezu alle kleinen Kinder fasziniert. Und erstaunlicherweise haben sie vor diesem Geschehen, selbst wenn sich direkt vor ihren Augen abspielt, kaum Angst. Sie fangen keinesfalls an zu weinen, erschrecken sich nur selten und wenden sich kaum hilfesuchend an ihre Begleiter. „So stark möchte ich auch sein“ mag ihnen durch den Kopf gehen, „und die ganze Welt bewegen können“. Gerne würden manche die Macht (und vielleicht auch Zerstörungskraft) der eisernen Gestalten vor ihnen teilen. Und ganz Ähnliches mag ihnen durch den Kopf gehen, wenn sie sich, wie die meisten Kinder, eine Zeit lang besonders für die Welt der Dinosaurier interessieren. In der Identifikation mit diesen von der Bildfläche verschwundenen Riesen fühlen sich auch kleine Menschen mächtig und groß.

Ob Bagger oder Dinosaurier, sie zusammen mit Kindern zu betrachten und ihr Erleben nachzuspielen öffnet Eltern, Erzieher*innen und auch Therapeut*innen viele Möglichkeitsräume. Zum Beispiel mit ihnen im Gespräch über Macht und Ohnmacht, Gelingen, Kraft und Schwäche zu sprechen. „Ich glaube, manchmal wünscht du dir auch so stark zu sein, wie der Bagger da.“ „Ein Dino zu sein und unerschrocken durch die Wälder zu marschieren – wäre das nicht toll?“ „Und der Traktor da, der kann sogar einen ganzen Baum hinter sich herziehen.“  Aber auch lustige Phantasiegeschichten lassen sich darüber mit dem Kind austauschen, zum Beispiel, wenn der Bagger immer wieder seine Ladung verliert und der Riesensaurier dann doch einmal schlappmacht: „Der Starke ist nicht immer nur stark! Auch ihm kann passieren, dass etwas schiefgeht!“

Das wichtigste aber ist, das Kind zunächst in Ruhe beobachten und spielen zu lassen, wie es selbst die Vorgänge in der Welt wahrnimmt. Ihm seinen Zugang zur Welt zu lassen, ohne alles gleich erklären zu wollen, sich über sein Staunen und seine Neugierde einfach nur zusammen mit ihm zu freuen.

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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