Gesundheit Teil 3: Wenn Scham zündelt……

 

 

 

 

Beitrag von Dr. Udo Baer

Dass Kinder sich schämen, ist normal. Die Scham oder Peinlichkeit ist ein Gefühl, das auftritt, wenn Menschen die Grenzen ihrer Intimität verteidigen. Es wird einem Menschen peinlich, wenn andere etwas mitbekommen, was sie nicht wahrnehmen sollen. Wenn ein Kind einen Fehler gemacht hat, können Schamgefühle auftreten. Oder wenn Kinder Geheimnisse bewahren wollen, zum Beispiel, dass sie eine andere Schülerin oder einen anderen Schüler „gern haben“, dann kann es ihnen peinlich sein, dass andere etwas davon mitbekommen.

All dies bezeichnen wir als „natürliche“ Scham. Ein Gefühl, das nützlich ist, um die Grenzen der eigenen Intimität zu bewahren. Doch daneben gibt es die Beschämung, die sich zunächst einmal genauso anfühlt wie die natürliche Scham. Doch die natürliche Scham kommt von innen, die Beschämung kommt von außen. Beschämung bedeutet, dass Menschen vorgeführt und entblößt werden. Beschämung ist oft damit verbunden, dass jemand zu „…“ ist: zu dick, zu dünn, zu schlau, zu dumm, zu deutsch, zu ausländisch, zu groß, zu klein usw..

Beschämung hat für diejenigen, die davon betroffen sind, keinen Sinn. Sie verletzt und erniedrigt. Deswegen ist es wichtig, dass wir unsere Kinder darin unterstützen, sich gegen Beschämung zu wehren. Die Kinder brauchen gegen die Beschämung Parteilichkeit. Und sie brauchen uns Erwachsene als Vorbilder, dass auch wir voran gehen, gegen Beschämung aufzutreten.

Soweit so gut und so richtig. Doch was hat das mit Gesundheitsfragen zu tun? Die Antwort liegt darin, dass jedes Fühlen immer auch einen körperlichen Prozess beeinflusst. Dies scheint bei den Beschämungserfahrungen besonders massiv zu sein. Forscher der Universität Los Angeles haben schon vor vielen Jahren entdeckt, dass die Scham das Immunsystem beeinflusst (Psychosomatic Medicine, Band 66/1, 2004, in: Psychologie Heute, Juni 2004, Seite 53). 31 Studentinnen und Studenten wurden an drei Nachmittagen gebeten, jeweils ein Ereignis aufzuschreiben, bei dem sie sich damals und auch gegenwärtig immer noch sehr schämten. Davor und danach wurden Blutproben genommen und untersucht. Das Ergebnis: Der „Tumor-Nekrose-Faktor-alpha“, ein Botenstoff, der eine beginnende Entzündungsreaktion im Körper anzeigt, war um 25% erhöht. Andere Studentinnen und Studenten, die über andere Themen schrieben, zeigten diese Wirkung nicht. Diejenigen, deren Scham in ihren Texten am größten war, hatten auch den höchsten Anteil der Steigerung der Entzündungsstoffe (siehe auch Baer, U./Frick-Baer, G., Vom Schämen und Beschämtwerden. Bibliothek der Gefühle, Band 4, 2008, Beltz-Verlag).

Also: Scham zündelt im Körper! Nun kann man nicht daraus schließen, dass jede entzündliche Erkrankung eines Kindes auf Beschämungserfahrungen zurückzuführen ist. So einfach funktioniert der menschliche Organismus nicht. Doch es ist festzuhalten, dass Beschämungserfahrungen, besonders massive und andauernde Beschämungserfahrungen, entzündliche Reaktionen hervorrufen und so Krankheiten bzw. einen stärkeren Krankheitsverlauf begünstigen können. Sich gegen Beschämungen zu wehren, tut nicht nur der Seele gut, sondern auch dem Körper!

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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