Die emotionalen Auswirkungen von Erkrankungen auf Kinder sind vielfältig und oft sehr intensiv. Es lohnt sich deshalb immer, darauf zu achten und Kinder zu fragen, wie es ihnen geht.
Häufige emotionale Auswirkungen bestehen in Gefühlen der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Wenn ein Elternteil zum Beispiel an Corona oder an einer schweren Grippe erkrankt, dann fühlen sich die Kinder ohnmächtig. Sie können gegen die Krankheit nichts bewirken, so sehr sie das auch wollen. Sie können ihre Mama oder ihren Papa nicht retten, so sehr sie danach streben.
Gegen Hilflosigkeit hilft, dass andere Menschen die Hilfsbedürftigkeit und Hilflosigkeit sehen und möglichst auch teilen. Wenn ein Elternteil oder ein älterer Bruder oder eine ältere Schwester sagen: „Ja, ich fühle mich da auch hilflos. Das ist Mist …“, dann ist das Gefühl der Hilflosigkeit wenigstens schon einmal geteilt und das Kind fühlt sich damit nicht allein. Es ist auch notwendig, mit den Kindern darüber zu reden, dass man Hilfe holt und welche Hilfe man holt, medizinische, aber auch andere, damit die Krankheit überstanden werden kann und möglichst schnell weggeht.
Gegen die Ohnmacht hilft nicht nur die Macht. Diese ist bei Krankheiten nur sehr begrenzt vorhanden. Gegen Ohnmacht hilft auch das Machen. Etwas für die erkrankte Person zu tun, verringert das Ohnmachtsgefühl. Einen Kuchen zu backen ebenso oder ein Bild zu malen oder ein Herz mit Genesungswünschen aus Stoff zu basteln, was auch immer dem Kind oder den anderen in der Familie einfällt. Etwas zu, tun hilft.
Häufig versteckt sind Schuldgefühle. Wenn Kinder etwas nicht verstehen oder wenn sie überfordert sind, wenn etwas ihr Fassungsvermögen übersteigt, fühlen sie sich oft verantwortlich und leider oft auch schuldig. Habe ich etwas falsch gemacht? Ist der Papa krank, weil ich mein Zimmer nicht aufgeräumt habe? Hat der Opa Krebs, weil ich beim letzten Besuch zu laut war? Solche Fragen stellen sich Kinder. Sie sind von der Logik her unsinnig, aber entspringen dem Verantwortungsgefühl der Kinder und deren Liebe zu den erkrankten Personen. Das Gefühl, nichts tun zu können, schlägt sich dann nicht nur in Ohnmachtsgefühlen nieder, sondern auch in Schuldgefühlen, weil die Kinder irgendetwas suchen, was die Verbindung zu ihnen herstellt, was ihre Verantwortlichkeit irgendwie in den Raum der Krankheit und Gesundung hebt. Über diese Schuldgefühle reden die Kinder selten. Doch ich habe sie sehr oft erlebt, gehört, gesehen. Deswegen ist es notwendig, auch, ohne dass es von den Kindern aus zum Thema wird, den Kindern zu sagen: „Du bist nicht schuld!“ Und dies nicht nur einmal, sondern mehrmals.
Es ist notwendig, allen Gefühlen Raum zu geben, auch den eigenen. Kinder brauchen Vorbilder, dass Gefühle gelebt und ausgedrückt werden können. Dadurch werden sie ermutigt, auch eigene Gefühle auszudrücken. Auch die Traurigkeit, auch das Gefühl der Überforderung, auch die Scham, die Angst vor schwerster Erkrankung oder Tod … Diese Gefühle zu teilen, ist auch eine Stärke. Über die Angst zu reden ist stark, nicht schwach. Das müssen Erwachsene Kindern vorleben und sie ermutigen, ihre Gefühle zu teilen.
Häufig entstehen auch Gefühle, weil sie umgetauscht werden. Haben Kinder Gefühle, die sie mit anderen nicht teilen können und mit denen sie sich allein oder alleingelassen fühlen, dann können ebenso wie bei Erwachsenen Umtauschprozesse in Gang gesetzt werden. Diese sind unbewusst. Die Hilflosigkeit kann sich in die Wut auf das Schicksal, in Wut auf Ärzte und Ärztinnen oder andere Personen verwandeln. Die Traurigkeit kann sich in Angst verwandeln und die Angst in Scham. Solche „Umtauschprozesse“ sind häufig. Sie entstehen, wenn sich Kinder mit einem Gefühl allein fühlen. Erwachsene sollten darum wissen und versuchen, allen Gefühlen, auch denen, die nicht in Worten ausgedrückt werden können, Raum zu geben und sich nach ihnen zu erkundigen.