Schulanfang und Schultüte sind bei uns unzertrennlich. Dabei hat sich der Brauch, Kindern zu Beginn ihrer Schulzeit eine „Zuckertüte“ mitzugeben, in Deutschland nur langsam durchgesetzt, flächendeckend wohl erst in den 1950er-Jahren. Heutzutage ist das Füllen einer Schultüte zu Schulbeginn für alle Eltern mehr oder weniger ein Muss!
Die Motive, die bereits im 18. Jahrhundert dazu führten, Kindern zum Auftakt ihrer Schulzeit eine „Zuckertüte“ in die Hand zu geben, liegen nach wie vor im Dunkeln. Am wahrscheinlichsten scheint mir als Erklärung, damit Kindern den Übergang von einer „unbeschwerten“ Kindheit hin zum vielbeschworenen „Ernst des Lebens“ zu versüßen. Es ihnen buchstäblich schmackhaft zu machen, sich in einer für sie neuen Umgebung zurechtzufinden, was für manche mit Trennungsschmerz und Ängsten vor dem Unbekannten, das jetzt vor ihnen liegt, einhergeht. Dass solche Ängste nicht sein müssen, dafür gibt es heute viele positive Beispiele, zum Beispiel, wenn einfühlsame Lehrer*innen und eine wohltuende Schulatmosphäre, die Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, den Erstklässlern dabei helfen, ihnen diesen bedeutenden Übergang ins Schulleben zu erleichtern. Wenn dann später die Auslese hin zu den weiterführenden Schulen beginnt, scheitern jedoch manche solcher Bemühungen – jetzt stehen oft nur noch Noten und Leistung im Vordergrund. Die Schultüte ist schon längst Vergangenheit und existiert nur noch als Foto, als Erinnerung an eine unbeschwerte Zeit, an die man sich später als Erwachsene*r, der eine mehr, die andere weniger, gerne erinnert.
Waren Schultüten in ihrer Anfangszeit eher schlicht und tatsächlich nur mit Süßigkeiten gefüllt, haben sich Inhalt und auch ihre Größe bis heute verändert. Neben Süßigkeiten und Schulutensilien finden sich darin nun weitere Geschenke, Geldgutscheine, Sparbücher und in manchen liegt sogar das erste Smartphone obendrauf. Vielerorts entwickelt sich der Schulanfang zum „Event“, bei dem weniger die Kinder als die Erwachsenen im Vordergrund stehen. Und dann gibt es noch diejenigen, die mit diesem ganzen Aufwand nicht mithalten können. Denen die finanziellen Mittel dafür fehlen und die Zeit. Die trotzdem versuchen, ihren Kindern nur das Beste mitzugeben und sich manchmal dafür schämen müssen, beim Hype um den Schulanfang nicht mithalten zu können. Und ihre Scham ungewollt auf ihre Kinder übertragen.
Wie gut wäre es dann, wenn Lehrer*innen diesen Tag nach der Einschulung im Unterricht noch einmal zum Thema machen würden. Nicht moralinsauer, nicht, um Kindern ihre Freude zu nehmen, am ersten Schultag im Mittelpunkt zu stehen. Jetzt aber dürfen sie selbst erzählen oder malen, was sie an diesem Tag alles erlebt und gefühlt haben. Von ihrem Stolz berichten, jetzt ein „Schulkind“ zu sein, aber auch von Ängsten, sich allein in diesen riesig-langen Fluren wiederzufinden und was sie hinter den heute immer noch verschlossenen Klassentüren wohl erwartet. Gemeinsam können die Kinder sich austauschen, wie in anderen Kulturen und Herkunftsländern von Migranten und Geflüchteten der Schulanfang gefeiert wird. Und die Kinder können Auskunft geben, was sie sich für die kommenden Wochen, Monate und Jahre, die sie in der Schule verbringen werden, am sehnlichsten wünschen. Auch dass es in der Schule keine Rolle spielen darf, dass manche viel und andere weniger haben und jedes Kind gleich wertvoll für ist. Ganz unabhängig von der Größe und vom Inhalt der Schultüte.