Das Gendern und die Gelassenheit

Udo Baer

Sprache ist Ausdruck von Wirklichkeit. Wenn über viele Jahrzehnte die Mehrheit der Menschen in der Sprache ausgegrenzt wurde, als gäbe es keine weiblichen oder queeren Personen, war das Ausdruck einer diskriminierenden und ausgrenzenden gesellschaftlichen Realität. Dass sich daran etwas ändert, ist gut und richtig.

Sprache ist aber auch ein Element der Veränderung der Wirklichkeit, eines von vielen. Wann immer Schreibende und Sprechende auch in der Form, in der sie sich sprachlich ausdrücken, ihre Bemühen um Gleichwürdigkeit der Menschen zeigen, dann unterstützt das Veränderungsprozesse. Solche Veränderungsprozesse beginnen immer bei Minderheiten. Einige setzen sich durch, manche nicht. Das hängt nicht nur von dem Gebrauch der Sprache ab, sondern vor allem von der Kraft der Veränderung in der Gesellschaft. Und vom Widerstand gegen solche Veränderungen. Beides existiert heute: die Veränderung und der Widerstand dagegen.

Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff sagte kürzlich im Tagesspiegel: „Es geht nicht, dass eine Minderheit die Sprache der eigenen Nation umprogrammiert“ (17. Mai 2023). Das ist genauso populistisches Getöse wie die Behauptung des bayerischen Ministerpräsidenten Söder, dass es ein Sprachverbot gäbe und man Worte wie zum Beispiel Mutter abschaffen wolle. Selbst wenn jemand Sprache „umprogrammieren“ wollte, würde dies nicht gelingen. Sprache ist lebendig, so wie die Gesellschaft lebendig ist. Diktaturen haben versucht, Sprachregelungen einzuführen und sind zumindest auf mittlere Sicht gescheitert. Es geht hier nicht darum, etwas aufzuzwingen oder zu programmieren. Es geht um Veränderungsprozesse in der Sprache, die Veränderungen in der Gesellschaft widerspiegeln.

In diesen Veränderungsprozessen gilt es, sich zu entscheiden. Jeder Mensch sollte seine Position finden und diese auch sprachlich vertreten. Ich trete dafür ein, dass Menschen gewürdigt werden, ganz gleich welchen Geschlechtes, ganz gleich welchen Aussehens, welcher Herkunft, welcher sexuellen, religiösen oder sonstigen Orientierung. Das versuche ich, auch in meinem Sprachgebrauch auszudrücken. Manchmal ist dies holprig und oft bin ich unsicher, aber ich versuche es. Wie sich jeder Mensch dort positioniert und sich um einen würdigenden Prozess bemüht, ist Sache jedes Menschen und auch jeder Institution. Und doch sollte aus diesen sehr ideologischen Diskussionen ein wenig die Luft herausgelassen werden. Der Krieg in der Ukraine wird nicht durch Gendern entschieden. Gewalt gegen Kinder, Frauen und andere Menschen in Deutschland wird nicht durch sprachliche Veränderungen abgeschafft und die Klimakatastrophe nicht abgewendet.

Sprachliche Veränderungen können unterstützen und das ist wichtig. Das ist nur ein Teil, oft ein kleiner Teil dessen, was im Eintreten gegen Entwürdigung getan werden kann. Das Aufblähen der sogenannten Genderproblematik durch bestimmte politische und andere Protagonist*innen ist oft nur Getöse. Es ist Widerstand gegen humane Veränderungen und soll gleichzeitig von anderen Problemen ablenken. Dem sollten wir nicht auf den Leim gehen.

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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