von Dr. Claus Koch
Alle Jahre zur Weihnachtszeit schneien sie wieder herein: unsere (fast) erwachsenen Kinder. Kommen von überall her, aus Neuseeland, aus anderen Städten, in denen sie studieren oder ihre Ausbildung begonnen haben. Manche von ihnen sind bereits berufstätig oder absolvieren gerade ein Praktikum oder „Volo“. Und dann kommen sie für ein paar Tage zurück in ihr „altes“ Zimmer. Finden zurück in ihr „Kinderbett“ mit dem Pikachu-Kopfkissen, blicken auf die Plakate verflossener Idole ihrer Jugendzeit und Lieblingsstars, die immer noch an den Wänden hängen; sehen traurig zur halbvertrockneten Palme hinüber, die ihnen als Jugendliche so wichtig war, zumindest solange, wie ihre Eltern sie ausreichend begossen haben. Und fühlen sich, obwohl doch längst volljährig, wieder wie Kinder. Ein bisschen jedenfalls.
Auch viele Eltern haben sich von diesem „Kinderzimmer“ noch nicht trennen können. Der Auszug der Kinder tat weh und der ungenutzte Raum ist Projektionsfläche für Erinnerungen, als diese jetzt flügge gewordenen jungen Leute noch bei ihnen wohnten. Bei anderen Eltern, auch dies zeigt eine zu Weihnachten auf Instagram gepostete Bildserie, hat sich das Zimmer mit der Zeit allerdings in eine Abstellkammer verwandelt, in einen Yoga- Raum oder schlicht in ein Büro. Dann stehen die „Kinderbetten“ neben Yogamatten, Fitness-Geräten, manchmal auch unter einem Bügelbrett oder zwischen ausrangierten Tischen und Stühlen. „Wie konntet ihr nur?“ protestieren die Heimkehrer*innen, wenn nicht mehr alles so geblieben ist wie zum Zeitpunkt, als sie das Weite gesucht haben.
Eltern bleiben Eltern und Kinder Kinder – so ließe sich diese Begegnung wohl am besten auf den Punkt bringen. Obwohl sich ihre Kinder oft schon Jahre allein in irgendeiner fremden Stadt selbstständig zurechtfanden, bleiben ihre Eltern jetzt immer noch wach, wenn das „Kind“ um drei Uhr morgens noch nicht von seinem Besuch bei ehemaligen Freundinnen und Freunden zurück ist und machen sich Sorgen. Und ihre bereits volljährigen „Kinder“ äußern sich am nächsten Mittag oder Nachmittag (Schlaf muss sein!) entschuldigend, dass es wohl „ein bisschen später“ geworden sei. Andere Eltern päppeln ihre Kinder wieder auf, weil sie in ihrer Abwesenheit ganz offensichtlich nicht genug zu essen bekommen hatten oder kaufen ihnen noch schnell einen warmen Pullover, um sie vor dem Erfrieren in der Fremde zu retten. Dies alles folgt dem fast archaischen Muster, das alle Eltern ihre Kinder behüten und Schaden von ihnen abwenden wollen. Die meisten der jungen Leute lässt sich derlei „Bemutterung“ oder „Bevaterung“ gerne gefallen, denn das Leben draußen ist oft hart und nicht immer so bequem wie einst zu Hause. Oder grinsen unmerklich in sich hinein, wenn sie vor dem Ausgehen den elterlichen Rat bekommen, sich eine Mütze aufzusetzen und warm anzuziehen.
Eltern bleiben eben Eltern und Kinder Kinder. Was die Begegnung auf Augenhöhe keinesfalls ausschließt. Viele der jungen Erwachsenen erzählen gerne von ihrem Leben außerhalb des Elternhauses (aber nicht alles), oft mit Stolz, damit bewiesen zu haben, dass sie jetzt auch allein zurechtkommen. Aber auch längst überwundene Konflikte können sich bemerkbar machen und zur Sprache kommen. Werden Würde und Respekt auf beiden Seiten gewahrt, können solche Konflikte offen angesprochen werden, auch, wenn es den „Weihnachtsfrieden“, der ja oft nur wie eine Leerformel daherkommt, dann stört. Vielleicht ist es ganz gut, Dinge, auch wenn sie schon Jahre zurückliegen, noch einmal aus der jetzt gewonnenen Distanz gemeinsam durchzugehen und die Spuren zu verfolgen, die sie im Leben des jeweils anderen hinterlassen haben. Das kann schmerzhaft sein, wenn es im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern nicht immer so gut geklappt hat. Wenn Eltern sich getrennt haben und jetzt viele Gefühle, auch aversive, wieder hervorkommen und zum Ausdruck gebracht werden.
Jetzt geht es darum, elterliche Präsenz zu zeigen. Da zu sein, zuzuhören und bloß nicht gleich Ratschläge erteilen. Sich auch an das erinnern, was einem selbst in diesem Lebensabschnitt, dieser „Transitzone“ zwischen Kind- und Erwachsensein wichtig gewesen ist, was schön, aber manchmal auch schwer war: ohne die stützenden Leitplanken von Elternhaus und Schule endgültig den Weg ins eigene Leben zu finden. Den meisten (fast) erwachsenen Kindern tut solcherart Präsenz ihrer Eltern gut. Sie macht ihnen Mut, ihre „Odysseusjahre“, wie ich sie unlängst in einem Buch genannt habe, zu überstehen und erleichtert ihnen den Aufbruch ins Erwachsensein.
Claus Koch: Pubertät war erst der Vorwaschgang. Wie junge Menschen erwachsen werden und ihren Platz im Leben finden. 2. Auflage, 3. Auflage im Druck. Gütersloher Verlagshaus, 2020.
Interessante Lösung, muß ich mit mir überprüfen, ob ich dieses
Gerät bekommen, und so werde ich es noch einmal versuchen, und wenn ich das tue
ich kann. Vergessen Sie nicht, zu gehen und noch hier werde ich Ihnen sagen, was ich kam
aus ihm heraus.
Lieber Herr Koch, vielen Dank für diesen wundervollen Spiegel. Hat mich sehr berührt!