1. Die Liebe zwischen Kindern

Serie: Wie Kinder lieben

Viele Kinder lieben im Kindesalter andere Kinder. Heiß und innig. Drei Beispiele:

  • Es ist Sommer. Die Eltern des vierjährigen Sohnes haben dessen engsten Freund eingeladen, bei ihnen zu übernachten. Morgens um 5.00 Uhr werden sie wach. Sie hören Stimmen. Sie eilen in das Wohnzimmer, von dem aus ein Balkon auf die Straße geht. Dort stehen die beiden Jungs, Hand in Hand haltend, und unterhalten sich, was sie auf der Straße sehen, zeigen hierhin, zeigen dorthin, gut gelaunt und freudestrahlend.
  • Ein Mädchen in der Grundschule hat einen Freund. Dieser Freund bemüht sich rührend um sie. Er trägt ihr immer die Schultasche, holt sie vom Bus ab und begleitet sie dann die Schultasche tragend zur Schule in den Klassenraum.
  • Xaver und Britta sind beide behindert. Sie besuchen beide einen Kindergarten. Britta ist ein halbes Jahr älter als Xaver und hat ihn liebevoll „unter ihre Fittiche“ genommen. Sie schaut ihn immer wieder verliebt an und hält seine Hand. Die beiden verbringen die meiste Zeit im Kindergarten, Hand in Hand. Britta hilft und unterstützt Xaver, wenn er bei irgendwelchen Tätigkeiten nicht weiterkommt oder keine Orientierung findet. Ihre Beziehung kann man nur als innig bezeichnen.

Die Liebe zwischen Kindern ist oft tief. Viele entwickeln Freundschaften, doch bei manchen geht es viel tiefer. Das ist wichtig zu wissen und ernst zu nehmen. Wir Erwachsene, ob als Erzieher*innen, Lehrer*innen, Eltern oder in anderen Rollen, sollten diese Liebe nicht belächeln, sondern würdigen.

Der größte Liebeskiller ist die Beschämung. Der Junge, der seiner Freundin in der Schule immer die Schultasche trug, hörte damit auf, als er zunehmend von anderen Schulkamerad*innen ausgelacht wurde. Wenn andere Menschen auf das liebevolle Verhalten zwischen Kindern nicht nur mit einem Schmunzeln reagieren, sondern die Kinder auslachen, sich über sie lustig machen, abfällige Äußerungen oder Spott von sich geben, dann führt sehr häufig die Beschämungserfahrung dazu, dass die Kinder ihrer Liebe nicht mehr trauen und sie zu verbergen versuchen. Deswegen ist es wichtig, dass wir Erwachsene solchen Beschämungsansätzen energisch entgegentreten und selbst ein Vorbild darin sind, die Kinderliebe zu würdigen.

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Nicole

    Hallo Herr Bär! Danke für den tollen Beitrag, der mich nochmal für das Thema sensibilisiert hat. Ich bin oft sehr beeindruckt davon, wie tief die Freundschaften meiner Tochter gehen und freue mich dann immer sehr für sie. In unserer Kita beschämen sich die Kinder aber häufig gegenseitig und als Mutter frage ich mich oft, wie viel „Einschreiten“ und „Korrigieren“ ich eigentlich von den Erzieherinnen und Erziehern erwarten kann. Wenn wir das Gespräch suchen, wird uns meistens gesagt, das wäre normal, Kinder seien „eben fies zueinander“. Was kann man da tun? Weiter nerven? Das Kind woanders anmelden und hoffen, dass es besser wird?

  2. Baer, Udo

    Nerven Sie weiter! Erziehende können nicht alle Verletzungen verhindern, die sich Kinder untereinander zufügen. Aber sie m ü s s e n bei allen Entwürdigungen einschreiten, v.a. Beschämungen und Gewalt. Das ist der Maßstab. Ob es in einer anderen Kita besser würde, kann ich nicht beurteilen. In jedem Fall: Beschämung ist schlimm, dagegen einzutreten ist würdigend.
    Herzliche Grüße
    Udo Baer

    1. Nicole

      Vielen Dank für diese Bestätigung, Herr Baer. Wir werden auf jeden Fall weiter nerven und uns Verbündete suchen. Herzliche Grüße, Nicole

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