Das große Ablenkungsmanöver

In einer Welt, in der Erwachsene buchstäblich an allen Fronten Gewalt ausüben, ob mit Waffengewalt in Kriegen und Verteilungskämpfen, ob in Form von Gewalt gegenüber der Natur oder Gewalt von Erwachsenen untereinander, taucht in der medialen Öffentlichkeit ein neues Schreckgespenst auf: die Gewalt unter Kindern. Sie wird skandalisiert, Kinder werden, nicht nur in Boulevardzeitungen, als unberechenbare Monster dargestellt, und der Ruf nach immer strengerer Bestrafung wird laut. Damit wird von der Tatsache abgelenkt, dass Kinder in einer von den Erwachsenen bestimmten gewalttätigen Welt leben: Auf dem Schlachtfeld, in der hemmungslosen Ausbeutung der Natur, Gewalt auch, wenn die Schere zwischen Arm und Reich in dieser Welt immer mehr auseinandergeht. Oder wenn Kindern allein ihrer Herkunft oder ihres Aussehens wegen Bildungschancen und Teilhabe an der Gesellschaft verwehrt werden. Wenn, von Erwachsenen erdacht und produziert, in unzähligen „Actionfilmen“ und Computerspielen, die sich besonders an Kinder und Jugendliche wenden, nur geschossen und getötet und die Welt dabei zum Einsturz gebracht und vernichtet wird. Wenn dann, mit überirdischen Kräften ausgestattet, ein ebenfalls meist gewalttätiger Retter am Horizont erscheint, den es im wirklichen Leben nicht gibt, aber den sich manche Kinder und Jugendliche erträumen.

Über die konkreten Hintergründe, warum Kinder andere Kinder töten, wissen wir wenig. Nur, dass es sehr seltene Einzelfälle sind, fürchterlich und mit lebenslangem Leiden für Täter und die Angehörigen der Opfer gleichermaßen verbunden. Was wir aber wissen ist, als Erwachsene die Pflicht zu haben, uns dafür einzusetzen, dass alle Kinder, egal wo in dieser Welt, die Gelegenheit bekommen müssen, gewaltfrei und in Würde aufzuwachsen. Sich dafür einzusetzen ist wichtiger, als am Ende noch den Kindern in die Schuhe zu schieben, wenn sie selbst untereinander gewalttätig werdenden

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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