Pubertät – Zeit des Wandels und der Selbstfindung

von Claus Koch

Pubertät bedeutet Abschied nehmen und Aufbruch.

Abschied: Die enge Bindung zu den ersten und wichtigsten Bezugspersonen, den Eltern, lockert sich immer mehr. Freunde werden immer wichtiger.

Aufbruch: Zeit der Identitätsfindung: „Wer bin ich?“ Die, als die mich meine Eltern, meine Freunde, meine Lehrer sehen? Oder der, als den ich mich selbst vorstelle.

Und dann noch die Frage: „Was will ich sein?“

Auf die existenziellen Bedürfnisse nach Geborgenheit und Sicherheit in der frühen Kindheit folgen in der Pubertät also die existenziellen Fragen. Es ist die Zeit, sich in den eigenen Zeichnungen und Bildern wiederzufinden, in einem Instrument, im Sport, beim Theater spielen und im Schreiben. Tagebuch und erste Gedichte.

Das Erwachen der Sexualität. Wer bin ich? Frau oder Mann? Wen will ich lieben? Wie will ich lieben? Was ist das überhaupt, Liebe? Dieses plötzliche Gefühl, eins zu sein mit der Welt, das so fragil ist und so schnell wieder enden kann. Glück und Unglück, manchmal beides in einem.

Häufig verspottet und als „Pubertiere“ lächerlich gemacht, ist die Pubertät eine zu kostbare Zeit im Leben, um sie einfach verstreichen zu lassen – auch für Eltern. Selten zeigen sich ihre Kinder so offen und verletzlich, wenn man sie nur lässt – so, wie sind.

„Wer bin ich?“. Die Antwort darauf muss ausprobiert werden, jeden Tag aufs Neue. Mal so, mal so. Nur der Augenblick zählt. Ich zähle. Oder: Bin ich vielleicht nur durch die anderen? Was bleibt von mir, wenn ich allein bin, ohne meine Eltern, ohne meine Freunde – ohne mein Handy?

Wie bestimmen die frühkindlichen Bindungserlebnisse den Zugang der Jugendlichen zur Welt? Denn in der Pubertät tauchen sie unter der Oberfläche einer jetzt zu Ende gehenden Kindheit wieder auf. Oft plötzlich, unvorhergesehen, verdeckt, manchmal ganz offen. Das Gefühl, auf der Welt willkommen gewesen zu sein, aufgenommen und geliebt in einem Resonanzraum von gegenseitigen Blicken, Gesten und Worten. Oder aber zu häufig ins Leere gegriffen zu haben. Übersehen worden zu sein, übergangen, überhört. Wie so seinen Platz im Leben finden?

Niemand „hat schuld“. Bindungserlebnisse werden weitergegeben. Auch von Eltern an ihre Kinder. Aber nichts ist endgültig. Jetzt zählen Offenheit und elterliche Präsenz. Leistung, dieser viel zu häufige Tauschwert in der Beziehung zwischen Eltern und ihren Kindern, ist nicht alles. Noch ist alles möglich. Dass Kinder zu sich selbst zu finden, wenn man sie nur lässt. Ihre eigene Antwort finden auf die alles entscheidende Frage: Wer bin ich? Wie will ich sein? Was zählt wirklich? Ohne sich dabei zu verlieren. Statt in Träume in Symptome, die krankmachen. Statt in Selbstbestimmung in Sucht. Statt in Selbstvertrauen in Selbstzweifel. Statt in der Zukunft nur noch im Blick zurück.

 

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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