„Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr auf eure Handys schaut“

Beitrag von Dr. Claus Koch

 

Am 8. September zog ein kleiner, aber lauter Demonstrationszug durch Hamburg. Dutzende Kinder waren der Einladung des siebenjährigen Emil gefolgt, um unter dem Motto „Spielt mit mir, nicht mit euren Handys“ gegen den Handy-Konsum ihrer Eltern zu protestieren. Auch andere Parolen wurden gerufen: „Am Sandkasten Handyfasten“ oder „Chatte mit mir“. Natürlich wurde die Kinder-Demo von Erwachsenen mit initiiert, und dennoch war sie für die mitmarschierenden Kinder eine tolle Übung in Sachen Selbstwirksamkeit: Greift die Mama oder der Papa am nächsten Tag beim Abendessen zum Handy genügt ein strafender Blick, um es schuldbewusst beiseite zu legen.

Ein paar Wochen später macht der SPIEGEL zum selben Thema auf: „Mein Kind, sein Handy und ich“. Das Titelbild zeigt einen Jungen an der Hand seiner Mutter, tief gebückt in sein Handy versunken. Was dann doch einigermaßen verwundert: Denn eigentlich sieht man es auf unseren Straßen, Spielplätzen oder sonstwo eher umgekehrt: Mütter und Väter, die in Begleitung ihrer Kinder wie abwesend auf ihr Handy blicken, am Griff des Kinderwagens E-Mails und WhatsApps checken, in Cafès chatten, daneben das Kind, enttäuscht, frustriert, wie abwesend. Einen kleinen Jungen, der ganz auf sein Handy konzentriert an der Hand seiner Mutter in den Kindergarten oder in die Schule gebracht wird, sieht man wohl eher selten oder eigentlich gar nicht.

Es ist wichtig, sich über den zunehmenden Handygebrauch von Kindern und Jugendlichen kritische Gedanken zu machen. Verteufeln, Dämonisieren und gänzlich verbieten hilft dabei ebenso wenig weiter wie Achselzucken und Laisser-faire. Was hilft, ist mit unseren Kindern darüber zu sprechen, egal welchen Alters, mithilfe von Ich-Botschaften und auf Augenhöhe: „Ich mache mir Sorgen, du hängst nur noch am Smartphone!“ – so kann ein Gespräch beginnen und jeder macht seine Meinung geltend. Wir Erwachsenen erfahren in solchen Gesprächen viel von der Welt unserer Kinder und Jugendlichen, die eben anders ist als unsere damals, als wir in ihrem Alter waren. Nicht besser, nicht schlechter, sondern anders. Darauf müssen wir uns einstellen, wenn wir mit ihnen reden. Und unsere Kinder erfahren in solchen Gesprächen von uns, wie wir unsere „digitale Welt“ organisierten, damals, als es noch keine Handys gab, sondern nur Fernsehen und einen Telefonanschluss für die ganze Familie. Als wir uns in muffige enge Telefonzellen begeben mussten, um uns ungestört mit dem Freund oder der Freundin zu unterhalten, heimliche Verabredungen zu treffen und dann zuhause sagten, wir gingen zum Sport. Jede Generation hat ihre Geheimnisse und kennt die Mittel, ihre Eltern auszutricksen. Wichtig ist nur das Aufrechterhalten des persönlichen, wechselseitigen Austauschs, mit dem unser Leben beginnt, und der es weiterhin bestimmen sollte. Kinder lernen ihn von Geburt an, weil sie ihn wollen, zum Überleben und um Beziehungen zu knüpfen. Bindungsforscher sprechen von Resonanz und Anerkennung, von Selbstgefühl und Selbstwirksamkeit. Von der Feinfühligkeit der Eltern, die Zeichen und Signale ihrer Kinder zu erkennen, zu verstehen und zu deuten. Das Handy in der Hand seiner Eltern bringt diesen Dialog für das Kind, das sie begleitet, zum Verstummen. Und dann, irgendwann, resigniert das Kind im Kinderwagen, an der Hand seiner Mutter oder seines Vaters, in der Pfütze auf und ab springend oder am Tisch zu Hause und verkriecht sich immer mehr in sich selbst. Um ein paar Jahre später dann selbst immer häufiger zum Smartphone zu greifen.

 

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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