Beitrag von Dr. Udo Baer
Ja, Strafen haben in der Erziehung von Kindern eine Wirkung. Kinder gehorchen, aus Angst und aus Hilflosigkeit. Doch die Folgen sind für die Entwicklung der Kinder schädlich, und das nachhaltig. Kinder, die oft bestraft werden, fühlen sich erniedrigt, denn Strafen machen die Kinder klein und die Großen groß. In den Kindern nistet sich die Angst ein, denn das Erzeugen von Angst vor Strafen ist das Mittel jeder Erziehung, die auf Strafen setzt. Und in den Kindern werden Ohnmacht und Hilflosigkeit selbstverständlich, denn sie sind gegenüber denen, die Strafen verhängen, hilflos und ohnmächtig.
Das hat Folgen bis ins Erwachsenenalter. Wer starke und selbstbewusste Kinder möchte, sollte auf Strafen verzichten. Nur wenn Kinder schon so gebrochen sind („komplextraumatisiert“), können Strafen Teil eines haltgebenden Systems sein, das sie eine Zeit lang zur Stabilisierung brauchen. Die Kinder, mit denen Sie als Erzieher/innen, Lehrer/innen, Therapeut/innen oder Eltern zu tun haben, brauchen Strafen nicht, im Gegenteil, sie wirken schädlich. Doch was sind die Alternativen?
Belohnungen sind keine Alternative. Eine Belohnung als Anerkennung für ein gutes Zeugnis – ok, kein Problem. Doch Belohnungen als durchgängiges Erziehungsmittel sind nur die Kehrseite von Strafen. Wer keine Belohnung erhält, fühlt sich bestraft. Belohnungen züchten die Konkurrenz der Kinder untereinander. Sie sind eine Scheinalternative.
Wirkliche Alternativen sind zwei Haltungen, die wir „sprechende Vorbilder“ und „Gegenüber-Sein“. nennen.
Sie sind für Kinder ein Vorbild. Immer. Ob Sie das wollen oder nicht. Kinder orientieren sich an Ihren Haltungen und Ihrem Verhalten. Wenn Sie die Unwahrheit sagen, lernen die Kinder, dass man die lügen darf. Wenn Sie Ihren Kummer verschweigen, werden die Kinder das auch tun. Es ist wichtig, dass Sie sich bewusst sind, dass Sie als Vorbild wirken. Sprechendes Vorbild meint, dass Sie Ihr Verhalten benennen und erklären sollten. Dabei brauchen Sie nicht perfekt sein. Auch Vorbilder dürfen Schwächen haben und Fehler machen. Entscheidend ist: Reden Sie mit den Kindern darüber, erklären Sie sich!
Diese Haltung beugt vielen Situationen vor, die Strafen scheinbar sinnvoll machen. Die zweite Haltung ist die des „Gegenübers“. Damit meinen wir eine Beziehungsqualität gegenüber den Kindern, die Reibung und Anderssein beinhaltet und erlaubt. Wenn ein Kind eine heiße Herdplatte berühren möchte, sagen wir „Stopp!“ und begründen das. Ob die Herdplatte berührt werden darf oder nicht, das ist kein Diskussionspunkt. Eine Haltung des Gegenüber bedarf der Unterscheidung zwischen Feldern, bei denen es Kompromisse geben darf, Diskussionen und Abwägungen (Wann ins Bettgehen? Noch einen Bonbon?) und solchen, bei denen klare Kante angesagt sein muss (u. a. bei Gefährdungen, bei körperlichen und emotionalen Verletzungen). Kinder brauchen, dass ihre Meinung und Ihre Wünsche ernst genommen werden, UND sie brauchen klare Grenzen. Das hat nichts mit Strafen oder Belohnungen zu tun, das ist eine Haltung, die Strafen erübrigt.
PS: Gegenüber zu sein ist eine der drei Grundhaltungen der „Tridentität“. Die beiden anderen sind das Nähren und das Spiegeln. Mehr dazu finden Sie in unserem Kinder&Würde-Blog: Wie Pädagogik die Identität fördert
Wunderbar beschrieben und ich kann das aus der Arbeit mit mit vielen sehr unterschiedlichen Kindern in ganz unterschiedlichen Zusammanhängen wie Schule, Stärkungsabeit für Kinder aus belasteten Familien, Kindergarten, etc. nur bestätigen. Leider zu oft erlebe ich, wie fasziniert Kinder manchmal auf mich reagieren, wenn ich ihnen ein aufrichtiges und echtes Gegenüber bin. Es wirkt oft so, als würden sie das selten erleben.
Vielen Dank für diesen guten Betrag!