Klatschen als Zwangshandlung – was hilft?

Ein siebenjähriger Junge in der Grundschule. Sven klatscht. Oft. So, dass er viele nervt. Die Mitschüler/innen und die Lehrer/innen. Und sich selbst.

Er klatscht nicht, weil er sich freut oder Beifall spenden möchte. Vielleicht hat es einmal so angefangen, aber nun hat sich das Klatschen verselbständigt. Er klatscht und kann nicht aufhören, auch wenn er sich das vornimmt. Sein Klatschen wirkt aggressiv. Er leidet.

Man mag das „herausforderndes Verhalten“ nennen oder „Störung“ – für ihn ist das Klatschen zunächst einmal Ausdruck einer Not und nicht aggressiv gemeint.  Wichtig ist der Zugang, sich in das Kind hineinzuversetzen, um zu verstehen, welchen Sinn das Verhalten für das Kind macht. Wenn wir das bei Sven tun, kommen wir zu dem Ergebnis, dass das Klatschen für Sven schlicht Ausdruck seiner hohen Erregung ist. Wie ein Tic. Er drückt hohe Erregung mit seinem Klatschen aus und baut sie dadurch ab, versucht es wenigstens.

Nun ergeben sich zwei Fragen. Die erste lautet: Was ist die Quelle von Svens Hocherregung? Diese kann in unterschiedlichen Faktoren liegen. Die Quelle kann zum Beispiel eine traumatische Erfahrung sein oder ein unbetrauerter Verlust. Bei Sven lag sie im zunehmen familiären Druck, in einer Druckatmosphäre aufgrund von Spannungen zwischen den Eltern, die Sven in sich „aufsaugte“ und die er nicht mehr abbauen konnte – außer durch das Klatschen.

Als zweite Frage ergab sich: Was kann getan werden? Als erstes wurde ein Elterngespräch angesetzt und versucht, die Eltern anzuregen, den Druck zu vermindern. Und dann wurden mit dem Kind gemeinsam andere Wege gesucht, wie es Erregung abbauen kann. Malen hat sich für Sven als hilfreich erwiesen, mit großen, dicken Stiften und kräftigem Strich … In der Klasse gelang es einer Lehrerin, aus dem einsamen und immer heftiger werden Klatschen einen Dialog zu entwickeln. Sie stellte sich vor Sven und klatschte auch, im gleichen Rhythmus. Und dann hielt sie eine Hand zwischen Svens klatschende Hände und bot dies Sven auch an. Daraus entwickelte sich ein gemeinsames Klatschen … Nach einigen Tagen wurde daraus ein Ritual. Wenn Sven wieder zu klatschen begann, dann ging die Lehrerin „dazwischen“ und nach einigen gemeinsamen Klatschern hatte Sven sich beruhigt.

Ein solcher Erfolg gelingt nicht immer. Aber immer lohnt es sich nach den Beziehungsaspekten bei solchen „Störungen“ oder „Tics“ wie bei Sven zu schauen. Sie finden sich oft in deren Quellen (hier die druckvolle Familienatmosphäre) und in den Wegen der Überwindung (hier das Angebot, aus dem einsamen Klatschen einen Dialog werden zu lassen).

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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