Selbstwirksamkeit und Wirksamkeitserfahrungen

 

 

von Udo Baer

Man liest oft die Aufforderung, dass wir Therapeuten*innen, Pädagogen*innen, Erzieher*innen und Eltern die „Selbstwirksamkeit“ der Kinder und Jugendlichen stärken sollen. Doch was ist das? Schaut man sich die psychologische Literatur zu diesem Thema an, wird deutlich, dass es nicht so sehr um die Selbstwirksamkeit geht, sondern um die Selbstwirksamkeits-Erwartungen. Erwartet ein Kind, dass es etwas bewirken kann? Wenn ja, hat es eine hohe Selbstwirksamkeit, wenn nein, eine niedrige.[1] Doch diese Erwartung ist nur ein Teilaspekt und nicht der wichtigste.

Wie sich die Erwartung, wirksam zu sein, bei Kindern entwickeln kann, hängt von den Erfahrungen ab, die die Kinder machen. Entscheidend ist nicht die Erwartung, sondern entscheidend sind die Wirksamkeitserfahrungen. Wenn ein Kind mit seinen Impulsen immer wieder ins Leere geht, wenn es übersehen und überhört wird und niemand da ist, der es tröstet oder auch mit ihm streitet, dann gehen Kinder ins Leere und dann sind sie nicht wirksam. Infolgedessen sinken dann auch die Erwartungen, wirksam zu sein. Die Erwartungen kann man nicht erhöhen, ohne dass Kinder neue Wirksamkeitserfahrungen machen können. Um diese geht es in erster Linie.

Solche Wirksamkeitserfahrungen sollten auf zwei Ebenen erfolgen. Die erste Ebene besteht darin, dass es für Kinder gut ist, wenn sie möglichst viel praktisch wirksam sein können. Das kann vom Kuchen-Backen bis zum Reparieren eines Fahrrades reichen. Ein Bild zu malen, ein Lego-Haus zu bauen, Spiel und Alltag und das Familienleben bieten ebenso viele Möglichkeiten, sich als wirksam zu erfahren, wie konkrete Projekte in Kindergarten und Schule. All das ist Wirksamkeitstraining. Das Kind bewirkt etwas und hat Erfolgserlebnisse, es stärkt sein Selbstbewusstsein.

Die zweite Ebene der Wirksamkeitserfahrungen und des Wirksamkeitstrainings bezieht sich auf die Wirksamkeit gegenüber anderen Menschen. Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher einen Impuls gegenüber Erwachsenen äußert und damit nicht ernst genommen wird, überhört oder übertönt wird, dann sind dies negative Wirksamkeitserfahrungen. Wenn Erwachsene das Kind ernst nehmen und sich mit ihm auseinandersetzen, dann macht das Kind positive Wirksamkeitserfahrungen. Wir nennen dies Erfahrungen der Beziehungswirksamkeit: ich bewirke etwas in der Beziehung zu anderen Menschen. Diese Erfahrungen der Beziehungswirksamkeit müssen nicht darin bestehen, dass man alles toll findet, was das Kind äußert, und allem zustimmt, was es wünscht. Im Gegenteil, Kinder brauchen auch Reibung, brauchen Lob und Kritik, brauchen kritische Auseinandersetzung. Auch das sind Wirksamkeitserfahrungen, die Kinder benötigen und die dann auch ihre Selbstwirksamkeitserwartungen erhöhen.

[1] (2019): Würdigen, was ist – Praktische Phänomenologie. Kreative Leibtherapie, Band 2. Berlin. Bestellung: hier

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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