Schulangst und Schulphobie

Die Angst vor der Schule kann verschiedene Ursachen haben, die häufig nichts mit der Institution an sich zu tun haben. Welche Gründe es für das ängstliche Schulverweigern gibt, was die Unterschiede zwischen Schulangst und Schulphobie sind und was Eltern und Lehrkräfte tun können, erläutern Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Dr. Hans Hopf sowie Diplom-Pädagoge Dr. Udo Baer.

Jeder kennt das Gefühl, wenn das Herz anfängt zu rasen, wenn die Hände schwitzen, der Körper zittert und es sich Schulangst und anfühlt, als ziehe sich innerlich alles zusammen. Angst ist ein evolutionär notwendiger Mechanismus, der uns vor Gefahren warnt: Sei es die Angst vor der Höhe, vor der Dunkelheit oder die Angst vor engen Räumen. In der Vergangenheit waren diese Ängste für den Menschen sinnvoll und auch heute stecken sie noch in uns. Nimmt die Angst jedoch überhand, weil überall Gefahren vermutet werden, wo keine sind, wird sie irrational. Sie bekommt plötzlich eine Eigendynamik und kann zu einer Angststörung werden. So verhält es sich auch bei Schulangst und der Schulphobie.

Ängstliche und kränkliche Schulverweigerung
„Die Angst vor der Schule ist meistens sehr nebelig und kaum zu greifen”, erklärt DiplomPädagoge und Buchautor Dr. Udo Baer.„So ist es wichtig, diese Angst zu konkretisieren und die verschiedenen Quellen zu differenzieren.” Hier wird zwischen zwei Angststörungen unterschieden ‒ derSchulangst und der Schulphobie. Zwar vereint beide Störungen das mit körperlichen Beschwerden wie z. B. Kopf- oder Bauchschmerzen, Übelkeit, Kreislaufproblemen, Appetitstörungen, Harndrang und Durchfall verbundene ängstliche Verweigern der Schule, doch die Ursachen sind ganz unterschiedlichen Gebieten zuzuordnen: „Der Schulangst liegen ganz reale Ängste und Bedrohungen, z. B. Mobbing, zugrunde”, erklärt Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, Dozent und Kontrollanalytiker Dr. Hans Hopf. „Bei Kindern mit einer Schulphobie liegt kein objektiver Grund vor, dass sie den Schulbesuch ängstlich verweigern, denn die Schulphobie ist eine Trennungsangst, die nur auf die Schule verschoben wird”, so der Therapeut. Die Schule nehme hier lediglich eine Stellvertreterfunktion ein.

Schulangst: Verankert im schulischen Alltag?
Mobbing, Prüfungsangst, das Gefühl von einem Lehrer oder einer Lehrerin nicht gemocht zu werden und Versagensängste aufgrund von Lernschwächen oder körperlichen Defiziten sind häufige Gründe für Schulangst. Auch könne Leistungsdruck bei einem schulängstlichen Kind eine Rollen spielen, so Dr. Baer. Jedoch hat er die Beobachtung gemacht, dass es neben dem Leistungsdruck in der Schule, der momentan oft als Ursache von Schulangst propagiert wird, immer noch einen weiteren Druck gibt, der dann letztendlich eine Schulangst hervorrufen kann, so z. B. Druck aus den oben genannten Quellen oder Druck in der Familie. „Manchmal hat der Leistungsdruck seinen Ursprung nicht in der Schule, sondern wird bewusst oder unbewusst von den Eltern weitergeben.” Dr. Hopf warnt, dass Kinder hier in einem Konflikt zwischen Leistungsversagen und Ängsten vor Liebesverlust geraten können, wenn Eltern die Erwartungen an die Leistung ihres Kindes nicht reduzieren.

Sozialer Rückzug als Zeichen von Schulangst
„Schulangst wird häufig erst bemerkt, wenn es schon fast zu spät ist, nämlich dann, wenn die Kinder nicht mehr zur Schule wollen und krank vor Angst werden”, erklärt Dr. Baer. Der lange Vorprozess der Angstentwicklung bleibe oft unbemerkt, denn die Anzeichen seien keine konkreten Symptome. „Es gibt häufig relativ harmlos erscheinende Anlässe. Ein Kind, das z. B. seinen Geburtstag immer mit Freunden gefeiert hat, möchte plötzlich niemanden mehr einladen”, erklärt Baer. Oder das Kind erfindet immer neue Ausreden, um keine Hausaufgaben machen zu müssen und blockt bei dem Thema Schule völlig ab. Hier warnt der Experte aber auch, dass jeder Schüler und jede Schülerin normalerweise mal eine „Null-Bock-Phase” habe. „Wenn jedoch die sozialen Kontakte reduziert werden, sich das Kind immer mehr zurückzieht, die Freude erlischt und Verstörung sich breit macht, sollten Eltern sehr achtsam sein”, rät der Pädagoge.Hier sei es auch wichtig, immer wieder hartnäckig nachzufragen und sich bei deutlichen Signalen Hilfe bei einem Vertrauenslehrer oder -lehrerin bzw. bei einem Schulpsychologen oder eine Schulpsychologin zu holen.

Schulphobie ist eine Trennungsangst
Wie schon erwähnt und anders als das Wort vermuten lässt, handelt es sich bei der Schulphobie nicht um eine Angst vor der Schule sondern um eine Trennungsangst, die eindeutig in der Familiendynamik zu verorten ist. Schulphobische Kinder leiden unter einer krankhaften Angst, sich von ihren Bezugspersonen (meistens von der Mutter) zu trennen, auch aus Angst, dieser Bezugsperson könne etwas zustoßen. Besonders häufig kommt diese Angststörung bei überbehüteten Kindern vor: „Im zweiten Lebensjahr fangen Kinder an, sich von der Mama zu lösen. Wenn die Mutter jedoch eine zu große Angst aufweist, wenn sie ihr Kind zu sehr behütet und festhält, entwickelt das Kind kein ausgeprägtes Selbstvertrauen, keine Fähigkeit sich durchzusetzen und keine ausreichende Selbstwirksamkeit”, erklärt der Psychotherapeut Dr. Hans Hopf.  Die dadurch entstehende Trennungsangst bei den Kinder zeige sich besonders häufig im Alter von 10 bis 12 Jahren in einer Schulphobie. In diesem Alter steht die Pubertät an und somit die Entwicklungsaufgabe der Loslösung von den Eltern und einer Autonomieentwicklung, vor denen diese Kindern zusätzlich Angst haben. Sie haben oft nicht ausreichend die Erfahrung gemacht, Situationen und Dinge alleine bewältigen zu können und somit keine ausreichende Selbstwirksamkeit entwickelt. Sie brauchen ihre Bezugspersonen, um sich unterstützt und sicher zu fühlen, haben aber gleichzeitig die Entwicklungsaufgabe sich zu lösen und eigene Wege zu gehen.

Wut ‒ ein Gesicht der Schulphobie
Kinder, die unter Schulphobie leiden, sind durchaus den Anforderungen in der Schule gewachsen, weisen jedoch häufig schon früh soziale Ängste gegenüber anderen Kindern auf, sind schüchtern, introvertiert bis depressiv und besitzen nicht die Fähigkeit, sich gegen andere Kinder durchzusetzen. Deswegen werden sie nicht selten zu Mobbingsopfern. Hier verläuft dann die Grenze zwischen Schulangst und Schulphobie fließend. Auch wenn schulphobische Kinder Fremden gegenüber schüchtern sind, können sie ihren Eltern gegenüber sehr fordernd werden. „Wenn die Kinder gezwungen werden, in die Schule zu gehen, werden sie sehr wütend und tyrannisieren ihre Eltern”, so der Therapeut. „Diese Tyrannei kann so extrem werden, dass das Kind die ganze Familie beherrscht.” Hopf warnt, dass diese begleitende Wut oft nicht angesprochen, sondern immer nur das arme ängstliche Kind gesehen wird. „Es ist falsch, sich davon beeinflussen zu lassen, denn Mitleid unterstützt die kindliche Seite, klare Forderungen unterstützen hingegen die autonome Seite des Kindes, die unbedingt ausgebaut werden muss.”

Das Kind muss in die Schule
Eltern mit trennungsängstlichen Kindern wird geraten, alles zu tun, was die Autonomie des Kindes fördert und es im Selbstvertrauen bestärkt. „Das heißt auch, dass das Kind die Schule wieder besuchen muss”, so Hopf. „Denn besucht das Kind die Schule nicht, kann es sich zu Hause behaglich einrichten. Dann werden die Ängste nicht erkennbar, sie erzeugen keinen Leidensdruck und können auch nicht bearbeitet werden.” Darüber hinaus verschiebt sich das Problem nur, denn umso länger ein Kind nicht in der Schule war, desto größer wird die Angst vor dieser. Hier sollten Therapeuten und Eltern eng zusammenarbeiten und auf einen Schulbesuch pochen.

Was Lehrer tun können
Jede Lehrerin und jeder Lehrer sollte den Unterschied zwischen Schulangst und Schulphobie kennen und über diese Angststörungen aufgeklärt sein, so Hopf. „Lehrerinnen und Lehrer bemühen sich heute sehr und wissen, wie angstfreier Unterricht aussieht”, so der Therapeut. Es käme jedoch nicht selten vor, dass die Angst eines Kindes auf den Lehrer oder die Lehrerin geschoben werde, hier sollte man sich nicht verunsichern lassen. „Heutzutage wird die Ursache häufig aus dem eigenen Umfeld verlagert”, berichtet der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut.

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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