SERIE Spürende Begegnungen mit Kindern und Jugendlichen (5): Spürende Begegnungen und Bindungsförderung

„Für die seelische Gesundheit des sich entwickelnden Kindes ist kontinuierliche und feinfühlige Fürsorge von herausragender Bedeutung. Es besteht eine biologische Notwendigkeit, mindestens eine Bindung aufzubauen, deren Funktion es ist, Sicherheit zu geben und gegen Stress zu schützen. Eine Bindung wird zu einer erwachsenen Person aufgebaut, die als stärker und weiser empfunden wird, so dass sie Schutz und Versorgung gewährleisten kann“ (Grossmann, Grossmann 2006, S. 67). Diese Person ist für den Säugling in der Regel die Mutter, ihre Funktion kann ersatzweise auch von anderen Menschen eingenommen werden (Großmutter, Vater, ältere Schwester, Kinderfrau etc.). Ein Kind braucht auch Bindungen mit gleicher Funktion zu anderen Personen außer zur Mutter, mit hierarchisch abnehmender Bedeutung.

Es ist bekannt, dass Bindungsstörungen zumeist im frühen Alter entstehen und langfristige Folgen haben (Bowlby, Grossmann, Süess u. a.). Die Folgen der Bindungsstörungen reichen von verstörtem und verstörendem Verhalten bis zu Rückzug oder Gewalttätigkeit.

Doch wie misslingt Bindung konkret? Oder anders: Was brauchen Kinder, damit sie sichere Bindungserfahrungen machen? Die Antworten der Säuglingsforschung sind eindeutig: Kinder brauchen im frühen Alter Begegnungen des Schauens, Tönens, Greifens, Drückens und Lehnen, die sie würdigen und einen spürenden Dialog ermöglichen. Das Konzept der Spürenden Begegnungen greift dies auf und ermöglicht älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Bindungsstörungen neue Bindungserfahrungen zu machen. Daraus können Bindungsstörungen gelindert und oft neue Fähigkeiten des Bindungsverhaltens entwickelt werden.

Einige Hinweise und Zitate aus der Literatur zur Bindungsforschung:

  • Ainsworth nennt bei Säuglingen v.a. „mütterliche Feinfühligkeit“: Der Säugling ist „im Blick“, sie versteht dessen Signale und antwortet angemessen auf sie.
  • Unvermittelte Trennungen werden vermieden, es gibt Übergänge, wenn Trennungen notwendig sind (Grossmann). Und: Trauern ist erlaubt.
  • Mütter beziehen sich auf Gefühle der Kinder und versuchen bei negativ erlebten Gefühlen nicht, die Gefühle zu ändern, sondern die Bedingungen, die diese Gefühle hervorgerufen haben (Bowlby).
  • Das Kind kann Nähe und Distanz selbst bestimmen (Ainsworth) und darf eigene Erfahrungen machen – natürlich im vorgegebenen Rahmen.
  • Von Seiten der Väter scheint v.a. die Fähigkeit wichtig, mit den Kindern zu spielen, zu spielen, zu spielen, und ihre Hilfestellung für Heranwachsende bei der Bewältigung von Herausforderungen (Grossmann).
  • Prof. Suess fasste das wichtigste Ergebnis der Längsschnittuntersuchungen auf einem Vortrag zusammen: „Der wichtigste positive Faktor für eine Eltern-Kind-Beziehung und damit Entwicklung der Bindungsfähigkeit besteht darin, gemeinsam Freude und Spaß zu haben beim gemeinsamen Tun.“
  • Berührungen, Hören und Schauen werden immer wieder erwähnt. „Bindung wird vermittelt durch Sehen, Hören und Halten.“ (Holmes, S.87)
  • Die Erfahrung von Wirksamkeit und damit von Wichtigkeit (Suess).

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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