Von Claus Koch
„Als das Kind Kind war“, so schreibt der österreichische Schriftsteller Peter Handke in seinem Gedicht „Lied vom Kindsein“, „ging es mit hängenden Armen,/ wollte der Bach sei ein Fluß,/ der Fluß sei ein Strom,/und diese Pfütze das Meer.“ Kinder entdecken die Welt mit ihren ganz eigenen Augen, ihre Fantasie ist buchstäblich grenzenlos. Sie beseelen die Welt mit ihren Vorstellungen und finden darin ihren eigenen Platz. Wenn sie geborgen und sicher aufwachsen, sind sie neugierig auf alles Fremde, das ihnen über den Weg läuft, ihr Interesse an der Welt scheint ohne Anfang und ohne Ende. Sie leben mittendrin und meistens nur im Augenblick.
Zoe, die Hauptfigur in meinem gerade erschienenen Buch*, drückt das kindliche Erleben von Weltoffenheit, dessen Spuren bis ins Erwachsenenalter reichen, so aus: „Weltoffenheit ist keine Eigenschaft, die man wie auf Rezept erlernen kann. Sondern eher eine Haltung, die ein Kind in den Reaktionen anderer und darüber auch für sich erkennt: sich der Welt gegenüber nicht nur zugewandt, wie jedes Kind am Anfang seines Lebens, sondern auch offen gegenüber zu zeigen. Der Welt ohne Vorurteile zu begegnen. Keine Angst vor dem zu haben, was einem anfangs fremd ist. Die Bereitschaft, sich auch auf Unvorhergesehenes einzulassen, sich der Welt mit ihren Unwägbarkeiten zu öffnen.“
Weltoffen zu bleiben fällt heute vielen angesichts der schrecklichen Bilder vom Krieg in der Ukraine, die uns täglich erreichen, schwer. „Gibt es tatsächlich das Böse“, fragt Peter Handke aus Sicht des Kindes in seinem Gedicht, „und Leute, die wirklich die Bösen sind?“
Kinder wie auch Erwachsene fällt die Antwort auf diese Frage nicht leicht. Eine weit verbreitete Haltung ist dann, die Augen vor dem Bösen zu verschließen, auch, um die eigene Angst davor zu mindern. Sich von der Welt zurückziehen. Sich die Ohren verstopfen, als habe man nichts damit zu tun. Aber die Bilder und Nachrichten bleiben im Kopf und begleiten Kinder wie Erwachsene bis in den Schlaf hinein. In dieser Situation weltoffen zu bleiben, fällt schwer. Denn zur Weltoffenheit gehört ja auch, eigene Ängste für sich anzunehmen, an das Gute zu glauben und daran, dass es sich dem Bösen gegenüber durchsetzt.
Eine wichtige Voraussetzung, dass unsere Kinder weltoffen bleiben, besteht darin, uns ihnen jetzt besonders feinfühlig zuzuwenden. Ihnen Zuverlässigkeit, Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln in einer Welt, die vor unseren Augen scheint, aus den Fugen zu geraten. Mit ihnen über ihre und unsere eigenen Gefühle zu sprechen, besonders über ihre Ängste. Ihnen die Kraft zu geben, der Welt weiterhin mutig und offen zu begegnen. Unterstützen wir unsere Kinder, trotz der furchtbaren Vorgänge in der Ukraine, weltoffen zu bleiben. Unterstützen wir sie, ihre Neugierde auf die kleinen Dinge zu bewahren, trösten wir sie, wenn sie zweifeln und machen wir ihnen Mut und Hoffnung für die Zukunft, die nicht nur in unseren, sondern später auch in ihren Händen liegen wird.