Gesundheit Teil 2: Wenn Mama, Papa, Oma … krank sind – die Schuldgefühle der Kinder

 

Ein Beitrag von Dr. Udo Baer

 

Erkrankungen rufen nicht nur in Eltern und anderen Erziehenden Schuldgefühle hervor, sondern auch und vor allem bei den Kindern:

  • Stefans Schwester ist hat eine Lungenentzündung und Stefan macht sich Sorgen. Er wirft sich vor, dass er am Anfang die Krankheit der Schwester nicht ernst genommen habe, zu laut gewesen war und dadurch Schuld ist, dass aus der Erkältung eine Lungenentzündung geworden ist.
  • Alicas Mama hat Krebs. Alica versteht nicht. Sie ist sechs Jahre alt. Sie ist sich aber ganz sicher, dass die Mama nur krank ist, weil sie, Alica, nicht lieb genug zu ihr war. Vor drei Jahren hatte die Mama mal zu Alica gesagt: „Wenn du nicht aufhörst mich zu nerven, dann werde ich noch krank!“ Das blieb im Gedächtnis!
  • Feridun räumt jetzt immer sein Zimmer auf. Sein Papa hatte einen Herzinfarkt erlitten und überlebt. Er hatte oft geschimpft, dass Feridun sein Zimmer nicht aufgeräumt hat. Nun räumt Feridun auf, damit der Papa wieder gesund wird.

Solche Beispiele von Schuldgefühlen bei Kindern, wenn Eltern oder Großeltern krank werden, kennen wir zu Hauf. Sie beruhen teilweise darauf, dass sich viele Kinder Krankheiten nicht erklären können. Doch die Quelle der Schuldgefühle sitzt tiefer. Kinder fühlen sich, wie die meisten Erwachsenen, gegenüber schweren Erkrankungen ohnmächtig. Ohnmacht ist ein Gefühl, das kaum auszuhalten ist.  Die Kinder wollen etwas tun, etwas bewirken, damit die Eltern oder Großeltern, die sie lieben, wieder gesund sind. Doch sie können sich weder die Krankheit erklären, noch finden sie einen Weg, wirkmächtig zu werden. Wenn die Ohnmacht bleibt, dann übernehmen Kinder oft die Verantwortung für die Erkrankung und fühlen sich schuldig. Sie versuchen damit, sich einen Zusammenhang zwischen sich selbst und der Erkrankung herzustellen.

Dies zu wissen, ist wichtig. Oft sind die Schuldgefühle der Kinder stumm oder zeigen sich allenfalls im Verhalten, weniger in Worten. Wir Erwachsenen sollten deshalb mit den Kindern über die Erkrankung reden und sie, so gut es geht, altersgerecht erklären. Und wir müssen ihnen sagen. Wir können nichts an der Erkrankung tun außer die kranke Person gut zu pflegen. Auch wenn das Kind keine Schuldgefühle äußert, ist es oft wichtig und hilfreich, dem Kind zu sagen: „Du bist nicht schuld. Du kannst nichts dafür.

Was Erwachsene Kindern vorschlagen können zu tun, um aus der Ohnmacht herauszukommen, ist zum Beispiel, dass sie der erkrankten Person ein Bild malen oder einen Kuchen zu backen, für sie Blumen pflücken oder ein Lied singen … Die Kinder kommen damit ins Handeln. Die Ohnmacht wird nicht abgeschafft, aber gemindert, und damit den Schuldgefühlen zumindest ein wenig der Boden entzogen.

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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