Gegenüber: Respekt statt Gewalt

Viele Kinder, denen wir im pädagogischen und erzieherischen Alltag begegnen, haben negative Erfahrungen damit gemacht, wie ihnen andere Menschen, vor allem Erwachsene, als Gegenüber begegnet sind. Das hat Auswirkungen, wie sie Erziehenden, Lehrenden und anderen Kindern in Schule und Vorschule begegnen.

Eine der drei wichtigsten negativen Erfahrungen ist die Gewalterfahrung. Gewalt kann viele Gesichter haben. Sie reichen von Schlägen über sexuelle Gewalt bis zu verachtenden und entwertenden Verhaltensweisen. Die Kinder leiden dann darunter, dass sie von einem Gewalttätigen und grenzüberschreitenden Gegenüber verletzt worden sind. Sie haben Erfahrungen mit einem „Zerstörungs-Gegenüber“ oder „Gewalt-Gegenüber“ gemacht. Wenn Kinder sich mit einem positivem Gegenüber reiben und auseinandersetzen, dann kann Wachstum entstehen. Erfahrungen mit einem Zerstörungs-Gegenüber ermöglichen keinen Wachstum, sondern schaffen Verletzungen. Die Begegnungen mit einem Gegenüber müssen von Respekt und Würdigung getragen werden, vor allem von Respekt für die Grenzen des anderen. Sonst sind sie nicht identitätsfördernd, sondern schädigen die Identitätsentwicklung.

Wenn Kinder Gewalterfahrungen machen mussten, dann beinhaltet das, das ihr Nein keine Wirkung hatte und dass die schützenden Grenzen des intimen und persönlichen Raums in diesen Situationen ihre Wirkung verloren haben. Mit dem intimen Raum werden die erlebten Körpergrenzen bezeichnet, mit dem persönlichen Raum der vorgestellte und erlebte Schutzraum um einen Menschen herum. Wenn andere ohne Erlaubnis in diese Räume eindringen, ist dies grenzverletzend.  Dass hat vielfältige Wirkungen oder kann diese haben. Zum einen werden Kinder dann oft sehr misstrauisch, wenn sie anderen Menschen begegnen. Sie vermeiden manchmal Nähe und bauen Mauern des Schutzes auf. Andere verteidigen sich im Sinne der Vorwärtsverteidigung sehr aggressiv und lassen so „niemanden an sich heran“. Andere wiederum haben das Gespür für die Grenzen des persönlichen und intimen Raumes verloren und sitzen anderen buchstäblich und im übertragenden Sinn ohne Annäherung und ohne einen Entwicklungsprozess „sofort auf dem Schoß“.

Wenn Pädagogen/innen und Erzieher/innen Kindern begegnen, die solche Anzeichen zeigen, dann liegt nahe, dass diesen Kindern Verletzungen des persönlichen und intimen Raums und damit ihrer Schutzgrenzen widerfahren sind, dass sie Erfahrungen mit Gewalt-Gegenübern hatten. Dies ist wichtig zu verstehen, um auch die Not der Kinder hinter ihrem manchmal unerklärlichen oder verletzenden Verhalten zu erkennen.

 

Was diese Kinder darüber hinaus brauchen, ist Respekt, Respekt, Respekt. Ständige Betonung des Respektes vor ihren Grenzen ist für sie lebensnotwendig. Auch dass ihnen gesagt wird, dass sie ein Recht auf Misstrauen haben, ist wichtig. Das Misstrauen kann nicht einfach abgelegt werden, auch wenn sie Menschen begegnen, die ihnen wohlwollend gesinnt sind. Das Misstrauen ist für sie notwendig als Schutz gegen Wiederholungen von Gewalterfahrungen. Für sie kann es eher hilfreich sein, dass z. B. in einer Gruppe zusammengetragen wird, wie die einzelnen unterscheiden zwischen denen, denen sie trauen können, und denen sie nicht trauen können, woran genau einzelne Kinder merken, dass Vertrauen möglich ist oder Misstrauen angesagt ist. Solche Erfahrungen können zumindest ältere Kinder schon sehr gut artikulieren und es wird dabei deutlich, wie unterschiedlich die Wege der Kinder sind. Manche Kinder machen das Vertrauen an den Augen der anderen fest. Andere hören es an der Stimme. Wieder andere können ihr Gegenüber gut oder schlecht riechen. Noch andere brauchen handfeste Berührungen oder achten auf die Worte usw..

 

Für diese Kinder ist es wichtig, dass Erwachsene, Eltern wie Pädagogen/innen und Erzieher/innen Vorbild sind, also hier auch selbst auf ihre eigenen Grenzen achten und betonen, dass diese Grenzen schützenswert sind. Nur auf diesen drei Wegen: Verständnis, Respekt und vorbildliche Erfahrungen der Grenzwürdigung können Kinder neue Erfahrungen machen, die nach und nach die negativen Erfahrungen der Zerstörungs-Gegenüber zurückdrängen und überdecken können.

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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