Von Claus Koch
Ein Kind in einem Drogeriemarkt schreit. Ziemlich laut. Wenn ich mich zu ihm umdrehe, sehe ich einen etwa dreijährigen Jungen, der mit seiner Mutter vor der Rolltreppe steht, die in das untere Stockwerk führt. Auch andere sehen zu dem Kind hin. Seine Mutter versucht, mit ihm zusammen auf die Rolltreppe zu gehen, aber der Kleine will sie partout nicht betreten. Offensichtlich hat er Angst vor diesen sich nach unten wie von Zauberhand bewegenden Stufen. Wo fangen sie an, wo hören sie auf? Und wenn sie da unten verschwinden, verschwindet man dann nicht selbst – zusammen mit ihnen? Und was passiert, wenn man nicht rechtzeitig auf die erste Stufe kommt? Wird man dann zwischen den Stufen eingeklemmt und kommt nicht mehr los?
Immer lohnt es sich, sich in die Gedanken eines Kindes einzufühlen. Kaum ein Kind schreit ohne Grund und schon gar nicht nur deshalb, um, wie in diesem Fall, seine Mitmenschen damit zu ärgern. Der Kleine hat offensichtlich Angst. Vielleicht ist es das erste Mal, dass er auf einer Rolltreppe fahren soll. Wohin fahren alle diese großen Leute – aus seiner Perspektive sind es Riesen – wenn es abwärts mit ihnen geht?
Man sieht ihr an, dass der Mutter die Situation immer peinlicher wird. Vielleicht schämt sie sich dafür, dass ihr Kind vor den anderen Leuten gerade so ein Geschrei veranstaltet. Sie hat ihm doch gar nichts getan, war nicht streng zu ihm, hat ihn nicht angeschrien. Nahm nur seine Hand, um mit ihm auf die Rolltreppe zu gehen. Jetzt beugt sie sich zu ihm hinunter, streicht über seine Haare und sagt ihm etwas ins Ohr. Was, wissen wir nicht. Aber das Kind beruhigt sich und hört plötzlich auf zu schreien. Vorsichtig nähern sich beide der Rolltreppe, und dann betritt der kleine Junge zusammen mit seiner Mutter die erste Stufe. Langsam geht es abwärts. Der Junge guckt stolz zu ihr hoch. Als die beiden unten angekommen sind, fangen einige, die das alles mitbekommen haben, spontan an zu klatschen. Der Kleine strahlt.