Die Grotbergschen Resilienzquellen – eine gute Hilfe für Therapie und Pädagogik

Der Resilienzbegriff ist in vieler Munde und wird gleichzeitig äußerst unterschiedlich benutzt. Emmy Werner und ihr Team beobachteten auf der Hawai-Insel Kauai fast 700 Kinder eines Jahrgangs, die unterschwierigen Lebensbedingungen aufwuchsen. Rund ein Drittel von ihnen zeigte sich überraschend alsbesonders widerstandsfähig gegenüber der Belastungen. Diese Kinder wurden als „resilient“ bezeichnet.

Unter Resilienz wird seitdem vor allem die Fähigkeit von Kindern (und manchmal Erwachsenen) verstanden, widrigen Bedingungen zu trotzen. Die spannende Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Woran liegt es, dass manche Kinder mit den Belastungen besser klar kommen als andere? Kann man das, was sie unterscheidet, feststellen? Kann man diese Resilienzfaktoren bei Kindern frühzeitig entwickeln?

Diese Bemühungen sind so ehrenwert wie diffus. Es gibt zahlreiche Programme der Resilienzförderung, doch leider auch sehr unterschiedliche Begriffe von und erst recht Erklärungen für Resilienz. Oft werden die inneren Faktoren und die äußeren Faktoren isoliert voneinander betrachtet und vor allem wird die Bedeutung von Beziehungen zwischen den Menschen zu wenig beachtet. Die meisten Autor/innen verwenden lange und komplizierte Listen von Resilienzfaktoren und Ähnlichem, mit denen in Verständnis konkreter Menschen kaum etwas anzufangen ist.

Ich möchte mich hier darauf konzentrieren, das herauszufiltern, was für unsere leiborientierte Praxis und Theorie hilfreich und handhabbar sein kann. Wertvoll finde ich das Modell von Edith Grotberg, einer us-amerikanischen Wissenschaftlerin, die international Resilienzfaktoren erforscht und sich sehr in Förderprogrammen für benachteiligte Kinder engagiert. Sie hat in einem Modell zusammengefasst, was sie „Resilienzquellen“ nennt. Es ist hilfreich, zu „würdigen, was ist“:

ICH HABE …

  •  vertrauensvolle Beziehungen (Menschen um mich, denen ich traue und die mich bedingungslos lieben).
  • zuhause Struktur und Regeln (Menschen um mich, die mir Grenzen setzen, an denen ich mich orientieren kann und die mich vor Gefahren schützen).
  • Vorbilder (Menschen um mich, die mir als Vorbilder dienen und von denen ich lernen kann).
  • Ermutigung zur Autonomie (Menschen, die möchten und mich dabei unterstützen, dass ich lerne, selbständig zu werden).
  • Zugang zu Gesundheits-, Bildungs-, Fürsorge- und Hilfseinrichtungen (Menschen, die mir helfen, wenn ich krank bin, in Gefahr schwebe oder etwas Neues lernen muss).

ICH BIN …

  • es wert, geliebt zu werden, und andere mögen mich in meiner Art.
  • gern bereit, zu anderen freundlich zu sein und zu zeigen, dass sie mir wichtig sind.
  • mir und anderen gegenüber respektvoll.
  • bereit, für das, was ich tue, Verantwortung zu übernehmen.
  • zuversichtlich, das alles gut wird.

ICH KANN …

  • kommunizieren (mit anderen über Dinge reden, die mich ängstigen oder mir Sorgen bereiten).
  • Probleme lösen.
  • meine Gefühle und Impulse in schwierigen Situationen kontrollieren.
  • einschätzen, wann es richtig ist, eigenständig zu handeln oder ein Gespräch mit jemandem zu suchen.
  • vertrauensvolle Beziehungen herstellen. (1)

Diese Übersicht und vor „allem die drei Ichs: ich habe, ich bin, ich kann“ sind überschaubar und handhabbar. Man kann sie als Pädagog/in oder Therapeut/in im Kopf behalten, ohne alle Unterpunkte auswendig gelernt zu haben. Ich habe dieses Modell genutzt und erweitert. Einige Anwendungsmöglichkeiten möchte ich hier vorstellen:

Interaktive Diagnostik/Bestandsaufnahme mit Erwachsenen und Jugendlichen

Wir nehmen ein großes Blatt und unterteilen es in vier Felder. In drei der Felder schreiben wir:

Ich habe …

Ich bin …

Ich kann …

Das vierte Feld bleibt vorerst frei.

Dann bitten wir die Klientin, den Klienten, diese drei Felder mit Worten zu füllen und sich selbst einzuschätzen. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass mit „Ich habe …“ weniger materielle Besitztümer wie Geld, Auto, Wohnung … als Beziehungen, Zugänge, Fähigkeiten … gemeint sind. (Wenn sich später herausstellt, dass manche Klient/innen nur materielle Besitztümer „haben“ oder nur bzw. überwiegend diese ihnen einfallen, dann kommen diese selbstverständlich in die Felder.)

Dann füllt die Klientin, der Klient die Felder manchmal alleine aus, oft jedoch geschieht dies gemeinsam, im Austausch zwischen Therapeut/in oder pädagogische/r Begleiter/in und Klient/in. Die Begleiter/innen machen Vorschläge und geben Anregungen. Dies kann besonders bei Klient/innen sinnvoll, ja notwendig sein, deren Fähigkeit zur Selbstreflektion gestört oder eingeschränkt ist und die besonders viel Nahrung und Spiegelung bedürfen. Vielen Klient/innen bedürfen dieser Unterstützung.

Wenn die drei Felder ausgefüllt sind, wird darüber gesprochen. Im Austausch ist nicht nur wichtig, was dort steht, sondern auch, wo Lücken und Leerstellen sind. Oft ist es sinnvoll, das, was fehlt, mit einem Stift in einer anderen Farbe in die Felder einzutragen.

In das vierte Feld kommt nun:

Ich brauche …

Möglichst konkret und möglichst auch mit konkreten nächsten Schritten.

Wer damit arbeiten möchte, dem empfehle ich, dies zunächst einmal für sich selbst auszuprobieren und möglichst mit einem Freund oder einer Freundin anschließend darüber zu sprechen. Sie werden merken, was alles in der Beschäftigung mit diesen vier einfachen Worten schlummern kann: ich habe, bin, kann, brauche …

Mein Resilienz-Reichtum

Das „Mandala des Reichtums“ habe ich im Kunsttherapiebuch beschrieben. (2)

Hier eine Variante, die die Grotbergschen Resilienzquellen nutzt und betont:

Nimm ein großes Blatt Papier und zeichne den Umriss eines großen Kreises. Unterteile ihn durch drei Linien vom Mittelpunkt in die Peripherie in drei ungefähr gleich große Teile.

Zeichne in diesen Kreis nun einen weiteren Kreis, so dass er drei kleinere Innen-Teile und drei Außen-Teile enthält.

In die Innenteile werden die drei Begriffe geschrieben:

Ich habe …

Ich bin …

Ich kann …

und gefüllt.

In die Außenfelder kommt all das, was den Klient/innen an Resilienzquellen fehlt, wo sie Unterstützung benötigen. Denn auch das muss in einer stützenden Begleitung Thema sein.

Diese Methode ist besonders für Menschen geeignet, deren Resilienzquellen wenig ausgeprägt oder zugänglich sind.

Weiterarbeit mit kreativen Methoden

Es ist gut möglich, die bislang erstellten Übersichten der Resilienz-Quellen mit kreativen Methoden leiblich zu verankern und zu erweitern. Dazu kann

  • für jede Quelle eine Bewegung gefunden werden, aus denen sich ein Tanz entwickelt …
  • für jede der Quellen (und für das, was fehlt) eine Klang ertönen, der in einen musikalischen Dialog übergeht …
  • das „Mandala der Resilienz-Quellen“ gemalt werden …

Und viele andere Möglichkeiten kreativer Weiterarbeit können ausprobiert werden. Absichten dabei können sein,

  • Erfahrungen, Einsichten, Erkenntnisse leiblich zu verankern,
  • Leerstellen z. B. durch neue Beziehungserfahrungen zu füllen,
  • mit den Erfahrungen der Resilienzquellen in Dialog zu gehen.

Supervision und „Fallbesprechung“

Hier wird mit all den genannten Methoden gearbeitet, mit der Änderung, dass die beteiligten Klient/innen nicht dabei sind. In Fallbesprechungen z. B. in der Kinder- und Jugendhilfe oder der Supervision können Klient/innen mit den Grotbergschen Resilienzquellen vorgestellt und eine Grundlage für die Diskussion von Hilfsnotwendigkeiten gelegt werden.

1
Grotberg, E. H. (1995): Anleitung zur Förderung der Resilienz von Kindern – Stärkung des Charakters. In: Zander, M. (Hrsg.) (2011): Handbuch Resilienzförderung. Wiesbaden. 51-101, S. 55

2
Baer, U. (2013): Gefühlssterne, Angstfresser, Verwandlungsbilder … Methoden und Modelle der Kunsttherapie. Neukirchen-Vluyn

Quelle: KLT Online Journal, Beitrag Nr. 5, April 2015, Dr. Udo Baer, www.baer-frick-baer.de

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

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