Die WLAN-Puppe im Kinderzimmer? Bindungstheoretische Überlegungen zu interaktivem Spielzeug (Teil 1 von 2)

Künstliche Intelligenz – ein Begriff, der den bezeichneten Sachverhalt ganz gut trifft – hält zunehmend Einzug ins Kinderzimmer, egal ob es sich um Lerncomputer mit Kamera und Bewegungssensor für 5-Jährige und ältere Kinder handelt, um vernetzte Spielzeuge oder Apps für die Allerkleinsten.

Vorlesen – das war einmal! Stattdessen hält das Kleinkind von heute sein Tablet in der Hand, auf dessen Display bunte Tiere aufleuchten, die auf Knopfdruck hin- und herlaufen, die quieken und quaken, krähen, fortfliegen oder davonwatscheln, wenn man mit dem Daumen auf sie patscht und sie dabei hoffentlich genau trifft. Und begleitet von schnellem Szenenwechsel, den das Kind förmlich in sich einsaugt und wie gebannt beobachtet, erzählt ihm eine Stimme aus dem Off etwas vom Leben auf dem Bauernhof und erklärt, wie die Tiere alle heißen, damit es auch gleichzeitig noch etwas lernt. Vom massenhaften Gebrauch solcher Apps träumen Verlage und Software-Entwickler, denn das Zusatzgeschäft zum Buch könnte sich richtig lohnen, wo doch auch die Eltern, dabei gut beobachtet von ihren Kindern, ständig auf ihr Smartphone starren und an ihm herumfummeln. Und tatsächlich: Immer mehr Kinder, auch schon die Jüngsten, nutzen heute solche digitalen Medien und vernetzte Spielzeuge. Einer Erhebung des Deutschen Jugendinstituts in München aus dem Jahr 2015 zufolge stieg der Anteil der Internetnutzer unter ihnen kontinuierlich. 2% der Einjährigen(!) gehen online, 24% sind es bei den 5-Jährigen und schon 11% der Einjährigen und mehr als ein Fünftel der 2- Jährigen gucken regelmäßig irgendwelche Apps.

Dass digitale Medien zunehmend nicht nur das Leben von Erwachsenen, sondern auch das der Kinder bestimmen, soll an dieser Stelle nicht allgemein, sondern hauptsächlich unter bindungstheoretischen Gesichtspunkten diskutiert werden. Wobei es sich um eine Entwicklung handelt, die nicht mehr rückgängig zu machen und der mit nostalgischem Blick auf „frühere Zeiten, in denen alles besser war“, auch nicht beizukommen ist. Stattdessen kann es nur darum gehen, wie wir, als Eltern, Erzieherinnen oder Lehrerinnen, mit dieser Entwicklung umgehen, wie wir die positiven Seiten der neuen Medien (und die gibt es, besonders, wenn unsere Kinder älter werden, also ab Beginn ihrer Schulzeit) nutzen und die schädlichen, besonders in der frühen Kindheit, vermeiden. Denn gerade in den ersten fünf Lebensjahren kann der Einsatz digitaler Medien enormen Einfluss auf das Bindungsgeschehen haben, wenn die Faszination, die sie auf das Kind zweifellos ausüben, die lebendige Kommunikation mit einem tatsächlich vorhandenen Gegenüber immer mehr ersetzt und stattdessen eine „echte“ Kommunikation nur vortäuschen, die in Wirklichkeit gar nicht stattfindet. Dies geschieht dann, wenn der Gegenstand, ob Smartphone, Tablet oder Notebook, dem Kind gegenüber ein fiktionales Ambiente mit sich selbst als virtuellem Partner herstellt, dessen Antwortverhalten künstlich vom Kind produziert wird. Dazu dienen ihm aller Regel recht primitive Algorithmen, um die anfallenden Entwicklungskosten in Grenzen zu halten.

Dies gilt zuallererst für die anonymisierte „Gutenachtgeschichte“ mittels einer App, in der eine echte Bezugsperson mit all ihren „resonanten“ Fähigkeiten, ihrem Blick, ihren Gesten, ihrer Sprache, ihren Berührungen, ihrem Geruch usw. ersetzt wird, sodass kein echter Dialog und keine persönliche Bindung mehr stattfinden, die immer die Resonanz, eingebettet in ein spontanes und feinfühliges Antwortverhalten, voraussetzt. Gerade die Gutenachtgeschichte ist wie kaum ein anderer frühkindlicher Dialog geeignet, eine gute Bindung zwischen Bezugsperson und dem Kind herzustellen. Wenn sich das Kind, kurz vor dem Schlafengehen und noch ganz mit den Sinneseindrücken vom Tag beschäftigt, in einem wechselseitigen Austausch mit seinen Eltern befindet und über den Ton und Klang ihrer Stimme, die sich seinem Befinden anpasst, zur Ruhe findet.

Was passiert nun aus bindungstheoretischer Sicht beim Umgang des Kindes mit interaktivem Spielzeug, das, ans WLAN angeschlossen, eine „Bezugsperson“ vortäuscht, die auf das Kind wie scheinbar ein echter Mensch oder ein echtes Lebewesen, reagiert? Was spielt sich ab, wenn die WLAN-Puppe oder der sprechende Dinosaurier Einzug ins Kinderzimmer hält?
Lesen Sie nächste Woche!

 

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

Schreiben Sie einen Kommentar