Von Dr. Claus Koch
Auch wenn die Bindungsforschung davon ausgeht, dass sich eine „echte“ Bindung als wechselseitiger Prozess zwischen dem Säugling und seinen wichtigsten Bezugspersonen erst ab etwa dem sechsten Lebensmonat konstituiert, finden bereits vor der Geburt und besonders während der Schwangerschaft bindungsähnliche Prozesse zwischen dem Ungeborenen und seinen künftigen Eltern, besonders der Mutter, statt, die für die Bindungsgeschichte des Babys und Kleinkindes von großer Bedeutung sein können.
In fünf Blogbeiträgen stellen wir in den nächsten Wochen die wichtigsten Passagen eines Vortrages vor, den Claus Koch auf der 6. Fachtagung „Frühe Hilfen“ im September dieses Jahres in Hofheim am Taunus hielt.
Ein Kind kommt bereits aus einer Beziehung zur Welt. Aus der Beziehung zweier Menschen, die ihm das Leben schenken. In deren Beziehungswelt lebt es schon vor seiner Geburt, ja sogar schon vor seiner Zeugung. Ist es „geplant“, kreisen die Gedanken seiner zukünftigen Eltern schon früh darum, ob es gesund zur Welt kommt, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird, was aus ihm einmal werden wird, und vielleicht, was nicht so gut ist, was aus ihm später einmal werden soll. Aus einem noch gar nicht gezeugten Kind wird dann schon früh ein „Projektkind“.
Auch der Zeugungsakt selbst spielt in die Beziehung zum werdenden Kind hinein. Kommt das Kind „geplant“ auf die Welt oder eher durch Zufall? Nehmen Eltern ihren Kinderwunsch „locker“ und strengen sie sich an, „geben sie sich Mühe“, ein Kind zu bekommen? Ist das Kind, wenn die Schwangerschaft feststeht, erwünscht oder unerwünscht? Wie reagiert der Kindsvater, wenn er davon erfährt: Freut er sich, gibt er sich cool oder sogar feindselig? Alle diese Umstände, unter denen ein Kind gezeugt wird und welche Fragen die Schwangerschaft begleiten, können seinen zukünftigen Lebensweg beeinflussen. Wobei schon jetzt gesagt werden muss: Es gibt keinen einfachen Determinismus, dass ein unglücklich gezeugtes Kind später auch einmal unglücklich sein wird. Und auch umgekehrt, ein Kind, welches unter glücklichen Umständen gezeugt und empfangen wird, muss deshalb später nicht problemlos durch die Welt gehen. Die Chancen dafür, es später einmal einfacher zu haben im Leben, soviel ist sicher und auch wissenschaftlich belastbar, stehen jedoch besser für es.
Das Kind ist also von der Planung bis zur Geburt und vor allem in der Schwangerschaft in vollem Umfang ein „Beziehungswesen“. Es wird in einem Beziehungszusammenhang gezeugt und es wächst von Beginn an im Mutterbauch in Beziehung und durch Beziehung.
Wenn Fachkräfte verschiedener Berufsgruppen und Fachrichtungen der Jugendhilfe und des Gesundheitswesens das Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder fördern und unterstützen wollen, muss ihre Arbeit auf eben solchen Beziehungserfahrungen der Kinder aufbauen.
Aber nicht nur das Kind lebt in „Beziehung zur Welt“, die sich nach und nach für es immer ausweitet. Ebenso leben auch die Eltern in Beziehungen – zu ihrem Partner, zu ihrem nächsten privaten und beruflichen Umfeld, aber vor allem zu ihrem Kind. Ihr Verhältnis zu diesem Kind wiederum ist geprägt von Beziehungen, die bis in die eigene Kindheit zurückreichen. Dabei spielen auch die eigenen Eltern eine bedeutende Rolle und die Art und Weise, wie sie mit dem Kind, das jetzt selbst Mutter oder Vater wird, umgegangen sind.