Kind sein in Zeiten von Corona

In diesem Blog geht es um Zahlen. Zahlen, die das „Deutsche Jugendinstitut München“ (DJI) während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 in einer repräsentativen Studie auf der Grundlage von Interviews mit Eltern und Kindern erhoben hat. Es sind Zahlen mit einem hohen Erklärungswert, die unsere sämtlichen Beobachtungen teilen, die wir in der Therapie, in der Beratung oder bei unseren Besuchen in Kitas und Schulen gemacht haben und unlängst in unserem Buch „Corona in der Seele“ näher erklärt haben. Sie bestätigen den bedeutenden, wenn nicht entscheidende Einfluss von Beziehungen in der Familie und in Kita und Schule, ob es Kindern gelang, mit der Pandemie ganz gut zurechtzukommen oder nicht.

So war in Familien, in denen Konflikte und Chaos auf der Tagesordnung standen, der Anteil der Kinder mit Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Pandemie weitaus höher (53%) als bei Familien, in denen nie oder selten Chaos und Konflikte herrschten (23%). Herauslesen lässt sich aus diesen Ergebnissen, dass Bindungssicherheit, als das Gefühl von Schutz und Geborgenheit, eine zentrale Rolle dabei spielt, wie Kinder die Folgen der Pandemie bei sich gespürt haben.

Ein weiteres eindeutiges Ergebnis zeigt, dass sich der Kontakt zu Bezugspersonen in Kita und Schule eindeutig positiv auf die Verarbeitung der Coronafolgen ausgewirkt hat. Die Eltern schätzen ihre Kinder dann besonders „einsam“ ein, wenn sie überhaupt keinen Kontakt zu ihren Erzieher*innen oder Lehrer*innen hatten, wohingegen nur ein Viertel von ihnen diese Beobachtung teilten, wenn ihre Kinder häufigen Kontakt zu den Pädagogen und Pädagoginnen hatten. Auch hier zeigt sich, dass Kinder, die sich von ihren Erzieher*innen oder Lehrer*innen angenommen und „umsorgt“ fühlten, die Pandemie viel besser überstehen konnten. Auch deswegen, weil diese pädagogischen Fachkräfte durch ihre Präsenz auch denen, die sich zu Hause oft unverstanden und einsam fühlten, mit dieser Form von Bindungsqualität entscheidend weiterhelfen konnten.

Bei allem darf nicht vergessen werden, wie stark die finanzielle Lage der Familie beeinflusst hat, ob sich das Kind während der Pandemie einsam fühlte: Bei Familien, die nur sehr schwer mit ihrem Einkommen zurechtkommen, waren es nahezu Zweidrittel aller Kinder, die besonders unter Einsamkeit litten, bei Familien ohne diesbezügliche Probleme, weniger als die Hälfte. Zahlen die auch zeigen, wie abhängig die Bindungsqualität in einer Familie davon ist, wie es ihr finanziell geht. Das ist bezogen auf die schwierige ökonomische Situation vieler Familien gerade heutzutage mehr als ein deutlicher Warnhinweis darauf, wie notwendig die gezielte Unterstützung armer Familien ist. Und dass es dabei eben nicht nur „um’s Geld“ geht, sondern auch um die Aufrechterhaltung von Bindungsqualität, also darum, wie geborgen und sicher Kinder auch in unsicheren Zeiten aufwachsen können. 

Die Ergebnisse der Studie finden sich unter

https://www.dji.de/themen/familie/kindsein-in-zeiten-von-corona-studienergebnisse.html#:~:text=Den%20Studienergebnissen%20nach%20machen%20ihnen,verst%C3%A4rkt%20mit%20%C3%84ngsten%20konfrontiert%20sind.

Zum selben Thema das Buch von Udo Baer und Claus Koch: Corona in der Seele. Was Kindern und Jugendlichen wirklich hilft. Stuttgart: Klett-Cotta 2021

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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