Das Kind als Virenschleuder – das Versagen unseres Bildungssystems und seiner Funktionäre – Ein Zwischenruf von Claus Koch

von Dr. Claus Koch

Wenn selbst die eher konservative Bildungsredakteurin Heike Schmoll in der FAZ die Lehrerverbände in ihrer Haltung in der Corona-Krise kritisiert, dann will das schon etwas heißen: Unter dem Titel „Weltfremde Lehrer“ schreibt sie:

„Dass in den Wortmeldungen der Lehrerverbände … nur noch die gesundheitlichen Bedenken eine Rolle spielen und die Sorge um die Schüler und deren Bildungsbiographien nicht einmal einer Erwähnung wert zu sein scheint, richtet einen Flurschaden an.“ Und weiter: „Es gibt diese Lehrer, die still ihre Arbeit tun, nicht klagen und sich selbst dann nicht zur Risikogruppe zählen, wenn sie die sechzig überschritten haben. Und es zeugt von Weltfremdheit, wenn Landesverbände nun so tun, als seien Lehrer die Einzigen, die länger mit vielen Menschen in geschlossenen Räumen zusammen sein müssten.“

Dass es unter ErzieherInnen und LehrerInnen auch Risikopersonen gibt, die den persönlichen Kontakt mit den ihnen anvertrauten Kindern besser vermeiden, trifft sicherlich zu, aber es dürfte sich dabei um eine nur relativ kleine Gruppe handeln. Doch während VerkäuferInnen, ArbeiterInnen in den Montagehallen oder bei Amazon, viele andere Angestellte oder auch  Ärzte, PflegerInnen, Krankenschwestern oder TherapeutInnen auch über 60 ihrer Arbeit nachgehen (übrigens, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen!), gibt es eine Berufsgruppe in unserer Gesellschaft, die zurzeit ein großes Lamento anstellt und die versucht, sich ihrer beruflichen Pflicht zu entziehen. Während es, wie Heike Schmoll zurecht schreibt, durchaus ErzieherInnen und LehrerInnen gibt, die mit großem Engagement ihrer Aufgabe nachgehen, besonders die sozial benachteiligten Kinder und SchülerInnen trotz Corona fördern, die Treffen mit ihnen organisieren, die Hausbesuche machen und dabei ganz neue Eindrücke über das soziale Leben „ihrer“ Kinder und Jugendlichen gewinnen, gibt es andere, die sich allen Ernstes mit Bezug auf ihr Alter über 60 Jahre weigern, persönlichen Kontakt zu den ihnen anvertrauten Kindern aufzunehmen, bzw. nur dann, wenn sie ihnen bloß auf Abstand bleiben. Vorreiter dieser Haltung, übrigens auch für die jüngeren, die gar nicht zur Risikogruppe zählen, sind ihre Berufsverbände, allen voran der Deutschen Lehrerverband mit ihrem sich diesbezüglich besonders hervortuenden Vorsitzenden Heinz-Peter Meidinger, und die Gewerkschaft GEW und ihre FunktionärInnen. Sie würden am liebsten an den Schulschließungen bzw. Kontaktverboten zum „Schutz“ ihrer Klientel festhalten, die sozialen Folgen für die Kinder sind ihnen völlig egal und nicht erwähnenswert. Die Kinder, seit Wochen ohne regulären Schulunterricht, oft ohne nennenswerte soziale Kontakte kommen in ihren Stellungnahmen nur wie Unterrichtsmaterial vor, vor dem man sich schützen muss und denen man am besten aus dem Weg gehen sollte. Solcherart skandalöses Vorgehen der Verbände zeigt, was sie vom pädagogischen, über den reinen Schulbetrieb hinausgehenden Auftrag halten, nämlich nichts. Wenn überhaupt geht es ihnen lediglich um die Aufrechterhaltung des Prüfungssystems, gegebenenfalls eben auch ohne pädagogische Unterstützung. Beziehungsangebote, von denen eine gute Bildung lebt, bedeuten diesen Funktionären nichts. Ihre Lobbyarbeit für ihre „Klientel“ entlarvt sie als Interessenvertreter, denen die umfassende Bildung und das Schicksal von Kindern und Jugendlichen gleichgültig ist: Eine Schande, die jedoch die Schwächen unseres Bildungssystems unfreiwillig offenlegt, auch über Corona hinaus.

 

Quelle:

https://www.faz.net/aktuell/politik/kommentar-zur-schule-in-corona-zeiten-weltfremde-lehrer-16808185.html

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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