(aus dem Buch „Traumatisierte Kinder sensibel begleiten. Basiswissen & Praxisideen“ von Udo Baer. Beltz Nikolo 2018)
Es gibt keine allgemeingültigen Listen von Symptomen, an denen erkannt werden kann, ob ein Kind traumatische Erfahrungen machen musste. Es gibt Hinweise– nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der wichtigste Hinweis besteht darin, dass Kinder nach einer traumatischen Erfahrung verstört sind. Sie verhalten sich nicht mehr so wie vorher. Sie wirken anders, zeigen Verhaltensänderungen unterschiedlicher Art.
Jedes Kind reagiert anders. Aber das Verstörtsein ist ein gemeinsam auftretendes Merkmal. Manche Kinder werden sehr unruhig, sind reizbar und schreckhaft. Andere ziehen sich eher zurück. Wieder andere werden aggressiv gegenüber ihrer Umgebung, um einem erneuten Kontrollverlust vorzubeugen. Häufig treten auch Verhaltensweisen auf, die einer früheren Entwicklungsstufe der Kinder entsprechen (im Fachterminus spricht man von »regredieren«). Das heißt, bestimmte Fähigkeiten, die sie bereits erworben haben, gehen verloren; das zeigt sich zum Beispiel in der Sprache oder im Sauberkeitsverhalten oder in anderen Kompetenzen. In jedem Fall haben Kinder während eines traumatischen Erlebens ein Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit erleben müssen, was sie unsicher macht und bei ihnen die bereits beschriebenen Verhaltensweisen auslöst. Noch einmal ist zu betonen: Es gibt keine verbindlichen Listen mit Phänomenen an denen sich traumatische Erfahrungen festmachen lassen. Es sollte immer ein Gesamtbild hergestellt werden, um ggf. einem Verdacht nachzugehen.
- Viele Kinder mit traumatischen Erfahrungen zeigen Ängste. Manchmal knüpfen sich diese Ängste an Trigger, die für die Kinder Anzeichen sind, dass sich das Trauma-Erleben wiederholen kann (zum Beispiel laute Schritte, Knallgeräusche, Berührungen). Oft existieren auch frei flottierende Ängste, die keinen traumabedingten Anlass kennen, sondern hier und dort scheinbar willkürlich auftauchen.
- Bei manchen Kindern drängen die schlimmen Erinnerungen immer wieder nach vorne. Man nennt diesen Vorgang »Flashback«. Wie ein Blitz werden Szenen oder Ausschnitte der traumatisierenden Situation lebendig, als würden sie jetzt geschehen.
- Viele Kinder mit traumatischen Erfahrungen werden gegenüber anderen Menschen misstrauisch, was verständlich ist nach dem, was ihnen widerfahren ist. Das Zutrauen, auch gegenüber den Fachkräften, sinkt plötzlich.
- Manchmal kombinieren Kinder ein allgemeines Misstrauen mit besonderer Hinwendung zu einer einzelnen Person, zu der Vertrauen besteht.
- Im Spiel wiederholen Kinder manchmal die traumatische Erfahrung, ohne dass es ihnen bewusst ist. Es kann sowohl im Spiel unter Kindern als auch mit Fachkräften geschehen. Häufig wiederholen Kinder solche Ereignisse –oft verfremdet – im Spiel mit Puppen, Playmobilfiguren und Tieren.
- Viele Kinder klagen über kontinuierliche Bauch- oder Kopfschmerzen. Ihr seelisches Leid findet keine Worte, ihr Körper »spricht« deshalb für sie. Kinder zeigen immer wieder blaue Flecken, für die es keinen nachvollziehbaren Anlass gibt. Gerade mit diesem Phänomen sollte man jedoch sehr sensibel umgehen und nicht vorschnell urteilen. Ein Einschätzen der Gesamtsituation ist äußerst wichtig.
- Manche Kinder zeigen einen plötzlichen Leistungsabfall. Vorhandene Fähigkeiten gehen verloren.
- Viele Kinder haben plötzlich Schwierigkeiten, etwas zu behalten. Ihre Gedächtnisfähigkeiten lassen nach.
- Andere Kinder leiden unter Schlafstörungen. Manche können nicht einschlafen, andere schrecken im Schlaf plötzlich hoch.
- Kinder zeigen sexualisiertes Verhalten. Sie benutzen obszöne Worte und spielen Geschlechtsverkehr, meist ohne zu wissen, was damit gemeint ist.
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Dr. Udo Baer:
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