Bindung und Bindungsprozesse vor und in der Schwangerschaft, Teil 5: Die Bindung zum Kind schon vor der Geburt herstellen, bewahren und stärken

 

 

Von Dr. Claus Koch

Auch wenn die Bindungsforschung davon ausgeht, dass sich eine „echte“ Bindung als wechselseitiger Prozess zwischen dem Säugling und seinen wichtigsten Bezugspersonen erst ab etwa dem sechsten Lebensmonat konstituiert, finden bereits vor der Geburt und besonders während der Schwangerschaft bindungsähnliche Prozesse zwischen dem Ungeborenen und seinen künftigen Eltern, besonders der Mutter, statt, die für die Bindungsgeschichte des Babys und Kleinkindes von großer Bedeutung sein können.

In fünf Blogbeiträgen stellen wir in den nächsten Wochen die wichtigsten Passagen eines Vortrages vor, den Claus Koch auf der 6. Fachtagung „Frühe Hilfen“ im September dieses Jahres in Hofheim am Taunus hielt. 

Unsicherheiten, Ohnmachtsgefühle und Ängste gehören zu jeder Schwangerschaft. Sie sind Zeichen dafür, dass zum werdenden Kind eine enge und liebevolle Beziehung besteht, aufseiten der Mutter wie aufseiten des zukünftigen Vaters. Sie sind zunächst einmal ein gutes Zeichen. Nehmen sie überhand, ist jedoch Abhilfe nötig. Oft handelt es sich dabei um eher diffus erlebte Gefühle, die durch bestimmte „Maßnahmen“ nicht einfach aus der Welt zu schaffen sind. Entscheidend dafür, sie abzumildern ist neben Entspannungsübungen, einfühlsamen und aufmunternden Gesprächen, der Mutter das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zukommen zu lassen, die ihr selbst, wie sich häufig herausstellt, als Baby und Kind selbst gefehlt haben. Aus bindungstheoretischer Sicht geht es darum, die Beziehung zwischen dem werdenden Kind und der werdenden Mutter zu stärken. Es geht dabei, so, wie später nach der Geburt, um die auch jetzt schon beim Ungeborenen vorhandenen existenziellen Bedürfnisse von

  • Sicherheit und Geborgenheit
  • Vertrauen
  • Anerkennung,

die alle miteinander zusammenhängen.

Aber nicht nur das werdende Kind braucht das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das es seiner Mutter schon jetzt vertrauen kann und sich auf diese Weise anerkannt und wertvoll fühlt, sondern es sind gerade diese elementaren Bedürfnisse, die jetzt auch bei der Mutter im Vordergrund hilfreicher Interventionen stehen sollten.

Ihr auch von professioneller Seite das Gefühl für Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln, besonders, wenn es ihre nächste Umgebung nicht schafft. Dazu ist besonders wichtig, ihr das Gefühl zu geben, dass man ihr vertraut, so, wie sie sich gerade fühlt, ihre Selbstzweifel zu beseitigen, bevor man auf der Gefühls- und Verhaltensebene interveniert. Ihr zunächst vermittelt: „So wie du bist, bist du gut.“ Anerkennung ist das beste Mittel um Ohnmachtsgefühle zu mildern und Ängste abzubauen. Jemanden anzunehmen, wie sie ist und nicht, wie sie sein soll. Gerade verunsicherte Mütter werden viel zu häufig, von den eigenen Eltern, ihren Lebensgefährten, Freundinnen, aber auch gesellschaftlichen Perfektionsansprüchen unter Druck gesetzt und entwickeln entsprechende Ängste. Oft sind Mütter mit übertriebenen Ängsten von ihrer eigenen Bindungsgeschichte geprägt. Sie waren als Kinder unsicher gebunden, bekamen selbst nicht die Sicherheit und Geborgenheit, das Vertrauen und die Anerkennung, die jedes Kind braucht, um gesund aufzuwachsen. Fürsorgende und feinfühlig agierende professionelle Helferinnen und Helfer wie Hebammen können auf diese Weise vorübergehend sogar zu „Bindungspersonen“ werden. Die Mutter spürt eine Nähe und Zugewandtheit, die sie bisher nicht gekannt hat. Sie werden zu Menschen, denen man vertraut und von denen man sich helfen lässt.

Daneben gilt es, um Ohnmachtsgefühle und Ängste abzubauen, vor allem darum, eine aktive „Resonanzbeziehung“ zum werdenden Kind aufzubauen. Denn je stärker die Mutter ihre Beziehung zu dem Kind „erfährt“, je enger und aktiver sich dieses Bindungsgefüge schon vor der Geburt darstellt, desto angstfreier und „selbstbestimmter“ gestaltet sich ihr Verhältnis zu ihm.

Dazu ist es wichtig, den Kontakt zu ihm so früh wie möglich herzustellen. Das ist schon zu Beginn der Schwangerschaft möglich, indem die Mutter ihm einfach erzählt, wie lieb es ihn oder sie schon jetzt hat, dass sie alles dafür tun möchte, ihm oder ihr bei sich ein gutes „Zuhause“ zu bieten. Ihm liebevoll auch von ihren Ängsten und Sorgen zu erzählen, die nun mal dazugehören, wenn sich ein Kind auf seinen Weg in die Welt begibt. Genau so kann sie es dem werden Kind auch mitteilen: „Ich habe dich jetzt schon so lieb, dass ich manchmal Angst bekomme, alles richtig zu machen. Aber auch wenn ich weiß, dass mir das nicht immer gelingen wird, so will ich doch alles dafür tun, dass es dir bei mir gut geht. Soll ich dir mal mein Lieblingslied vorsingen. Hör mal zu.“ Und dann singt die Mutter und das Kind hört zu, da ist sie sich ganz sicher. Sie kann ihm auch schon mal eine „Gute-Nacht-Geschichte“ erzählen, von dem Kind, das sich schon so freut auf die Welt zu kommen, um seine Eltern näher kennenzulernen. Das selbst ein wenig Angst hat, ob später in seinem Leben alles so läuft, wie es sich das wünscht. Sie kann von sich erzählen, die sich so freut, es zu empfangen, dass sie manchmal vor lauter Freude weinen können. Auch hier geht es gar nicht so sehr um die Inhalte selbst, sondern um ein emotionales Erleben auf beiden Seiten, sich füreinander sicher, geborgen und glücklich zu fühlen. Sprechen einige Umstände dagegen, kann die Mutter auch davon erzählen, um sich von ihren Sorgen und Ängsten zu befreien. Um dem Kind zu versichern, das trotzdem schon alles gut wird. Es geht einfach nur darum, dem Kind das Gefühl zu geben, eine Brücke so zu bauen, dass sie niemals einreißt. In seinem ersten „Zuhause“ eine wohltuende und entspannte Atmosphäre zu schaffen.

Aber nicht nur solche Zwiegespräche helfen dabei, eine Beziehung zum Kind aufzubauen. Auch Berührungen spielen eine große Rolle. So lässt sich die Hand auf das werdende Kind legen, das mit seinen Bewegungen ja bald schon auf sich aufmerksam macht. Man kann es streicheln, sich dabei sogar vorstellen, es zu umarmen, es in seine schützende Hand zu legen. Auf diese Weise wird das Kind immer mehr zum Subjekt, und die Frau, die das Kind in sich berührt schon vor der Geburt zur Mutter, die ihm Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, indem sie ihm seine bedingungslose Liebe zeigt. Bedingungslos meint hier Anerkennung, so wie du bist, bist du gut. Auf diese Weise entwickelt sich bereits eine resonante Beziehung, die Mutter interpretiert die Bewegungen ihres Kindes als Antwort, egal ob es sich um eine wirkliche Antwort handelt oder um eine, die nur in der Phantasie der Mutter stattfindet.  Wenn ein Kind hingegen spürt, wie ein Objekt behandelt zu werden, geht es ihm nicht gut. Wenn es nicht in seinem „So-Sosein“ anerkannt wird, sondern schon vor der Geburt mit bestimmten Erwartungen konfrontiert, fühlt es sich unter Druck gesetzt. In unserer Leistungsgesellschaft werden Kinder häufig zu „Objekten“ indem von der Zeugung an bestimmte Erwartungen an sie geknüpft werden, zum Objekt der Interessen von ihren Eltern. Dagegen steht die authentische Beziehung zum Kind, wie ich sie gerade geschildert habe und die eine Fortsetzung findet, wenn das Kind schließlich auf die Welt kommt: „So wie du bist, bist du gut, ich trage weiterhin die Verantwortung, dass es dir gut geht. Dafür liebe ich dich zu sehr, um jetzt damit aufzuhören. Es wird nicht immer leicht sein, es wird bei dir ebenso wie bei mir Höhen und Tiefen geben, aber wir werden sie gemeinsam überstehen, das versichere ich dir.“

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Frauke

    Sehr schöne Blogeinträge zu diesen Thema, danke!

    Ich bin derzeit in der 30. SSW und habe den Eindruck kaum eine Bindung zu meinem Kind aufbauen zu können. Es ist schon so lange gewünscht, doch eine vorangegangene Fehlgeburt und mehrere (kleinere) Komplikationen in der jetzigen Schwangerschaft machen es mir schwer. In der vorigen Schwangerschaft fühlte ich mich direkt eng verbunden. Da ein annähernd gleiches Gefühl sich bei dieser Schwangerschaft bisher nicht einstellt, werde ich immer unruhiger und rutsche nach und nach in eine Schwangerschaftsdepression.
    Haben Sie hierzu weitere (Lese)Tipps?

Schreiben Sie einen Kommentar