Von bindungsfreundlicher Erziehung, „guter“ Autorität und Elternstress. Eine Miniserie zur aktuellen Erziehungsdebatte in drei Blogbeiträgen.
Natürlich können Eltern auf die elementaren Bedürfnisse eines Kindes nach Nähe und dem Gefühl, gehört und gesehen zu werden, nicht ständig sofort eingehen. Eltern können, sowohl zuhause als auch anderswo, nicht immer für ihre Kinder da sein. Daran müssen sie sich gewöhnen und mit kurzfristigen Enttäuschungen fertig werden. Wenn Eltern es ihnen liebevoll erklären, nicht ellenlang, sondern mit weniger Worten, reicht das. So wie Kinder lernen müssen loszulassen, müssen es auch ihre Eltern lernen. Das Entscheidende ist, dass zuhause insgesamt eine bindungsfreundliche Atmosphäre herrscht und sich das Kind in all seiner Zuwendung zu seinen Bezugspersonen angenommen fühlt, auch wenn seine Bedürfnisse nicht immer angenommen werden. Bloße Wünsche eines Kindes, etwa nach etwas Süßem, nach neuem Spielzeug, nach Fernseh- oder Videozeit, nach ständiger Aufmerksamkeit usw. unterscheiden sich völlig von den genannten elementaren Bedürfnissen. Man kann es seinen Reaktionen gut ansehen. Werden existenzielle Bedürfnisse des Kindes dauerhaft verletzt, wird der Blick eines Kindes traurig und leer und in seiner Körperhaltung, seinen Gesten und Worten drückt sich große Angst aus. Angst, verlassen zu werden. Im Unterschied zum trotzig-forderndem Jammern und Weinen, wenn es einen spontanen Wunsch nicht erfüllt bekommt, hört sich sein Weinen verzweifelt an. Verwehren Eltern ihrem Kind die Erfüllung eines bloßen Wunsches, wird es durchaus protestieren, manchmal auch lautstark. Aber weil sein Gefühl, sich weiterhin sicher, geborgen, geliebt und anerkannt zu fühlen, nicht verletzt wird und sich in seiner Entwicklung die meiste Zeit gehört und gesehen fühlt, wird es sich schon kurze Zeit später danach wieder mit Freude und Zuversicht seinen Eltern zuwenden. Es ist also Unsinn, bei einer bindungsfördernden Erziehung von Verwöhnung zu sprechen oder den Verdacht zu äußern, das Kind bekäme dann niemals genug. Das Gegenteil ist der Fall. Eine bindungsfreundliche Erziehung verschafft Eltern viel mehr Ruhe und größere Spielräume, auch ihre eigenen Interessen wahrzunehmen. Viele Konflikte, wie sie mit bindungsschwachen Kindern entstehen, die ihre mangelnde Bindung zu ihren Eltern immer wieder durch ihre übertriebene Suche nach Aufmerksamkeit kompensieren wollen, fallen hier weg.
Sorgt eine bindungsfreundliche Erziehung für mehr Elternstress?
Eltern stehen heute unter starkem gesellschaftlichem Druck. Ihre Kinder sollen stark sein, erfolgreich und glücklich. Das predigen nicht nur unzählige Elternratgeber, sondern derlei Ratschläge finden sich ebenso im Netz bei „Mom- Fluencer*innen, in der Werbung oder in unzähligen Videos auf Insta oder TicToc. Und da die allermeisten Eltern wollen, dass es ihren Kindern möglichst immer gut geht, verfangen diese Erziehungsrezepte, obwohl es doch völlig unmöglich ist, ein Kind, das immer nur glücklich ist, um sich zu haben. Hinzukommen noch ganz andere handfeste Probleme, die Eltern gehörigen Stress machen: Das Fehlen von ausreichenden Krippen- und Kitaplätzen, die mangelnde Qualität der Betreuung oder die ständigen Ausfallzeiten wegen Personalmangel oder Krankheit. Die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern ist, obwohl gesetzlich angestrebt, paradoxerweise für viele Eltern heutzutage immer schwieriger geworden, in manchen Fällen sogar fast unmöglich.
Nicht die bindungsfreundliche Erziehung ist Auslöser von Stress und Burnout, keine mangelnde Autorität und kein fehlender „Führungswillen“. Im Gegenteil. Eine bindungsfreundliche Atmosphäre in der Familie ist eine gute Basis, mit den spontanen Wünschen und auch den alltäglichen Problemen von Kindern entspannt umzugehen. Und zwar auf beiden Seiten! Sie sorgt dafür, dass es Kindern UND ihren Eltern gut geht. Sie sorgt für weniger Elternstress statt für mehr.