von Claus Koch
Alles deutet darauf hin, dass Empathiefähigkeit viel mit gelingenden frühkindlichen Bindungsprozessen zu tun hat. Ob der Austausch von Gesten, Blicken oder ersten Worten – der feinfühlige Umgang mit dem Kind bestätigt es nicht nur darin, dass von ihm ausgesandte Signale, egal ob Freude oder Kummer, bei der oder dem „Anderen“ ankommen und, wenn man so will, „empathisch“ verarbeitet und kodiert werden. Sondern auch, dass es mit der Zeit am Modell seiner Eltern lernt, anderen zuzuhören, sich in sie hineinzuversetzen und sie nicht zu übersehen.
Eine neue Untersuchung, die 180 Menschen über einen Zeitraum von 25 Jahren vom Jugend- bis ins Erwachsenenalter begleitet hat, bestätigt diesen Befund: Wer einst von seinen Eltern emphatisch behandelt wurde, wird sich auch so gegenüber Freunden und später den eigenen Kindern gegenüber verhalten: „Wenn wir emphatische Kinder erziehen wollen, müssen wir ihnen direkte Erfahrungen damit geben, verstanden und unterstützt zu werden“, so die Leiterin der Studie Jessica Stern.
Darüber hinaus hebt sie besonders die Wirkung emphatischer Kommunikation unter den Jugendlichen selbst hervor, die mit Beginn der Pubertät den engen Bezug zu den eigenen Eltern ablöst. Genau an dieser Stelle wird auch die Bedeutung eines pädagogischen Handelns sichtbar, das schon in der Kita, später an Schulen oder Jugendzentren darauf hinwirkt, dass Kinder und Jugendliche lernen, sich untereinander zugewandt zu begegnen, weil sie auf diese Weise verstehen lernen, was in dem einen oder der anderen gerade vorgeht. Was auch für diejenigen gelten sollte, mit denen man vielleicht nicht so gut kann wie mit anderen, ein Punkt, der in der Empathieforschung wie auch in der zitierten Studie häufig übersehen wird.
Denn natürlich ist es ziemlich einfach, mit denen zu fühlen, die einem selbst nahe sind. Und das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für uns Erwachsene. Schwieriger hingegen fällt es, Menschen emphatisch zu begegnen, die einem in ihrer Art oder ihrem Aussehen zunächst fremd sind oder die man auf Anhieb vielleicht „weniger mag“. Aber auch sie verdienen unser Einfühlungsvermögen. Und dies sollte sowohl im Elternhaus wie in der Kita und Schule immer wieder und am besten an konkreten Beispielen, praktiziert und gelernt werden: „Stell dir vor, du wachst eines Morgens in einem dir völlig fremden Land auf, umgeben von Menschen, die du nicht kennst und die dich nicht kennen. Auf den ersten Blick erscheinen sie dir vielleicht fremd und manche haben auch ganz andere Gewohnheiten und Vorstellungen als du selbst. Wie möchtest du dann von ihnen empfangen werden?“
Wir denken gerne in Gegensätzen, wenn es um die Zuneigung zu anderen Menschen geht, was von Populisten jedweder Couleur immer wieder gerne ausgenutzt wird. Dies gilt es, auch hinsichtlich der eigenen Empathiefähigkeit, immer wieder neu zu bedenken und zu überwinden. Wenn wir als pädagogische Fachkräfte vor einer neuen Klasse stehen, erscheinen uns Kinder oder Jugendliche auf Anhieb oft sympathisch und weniger sympathisch. Bei ersteren fällt uns emphatisches Verstehen einfach. Entscheidend aber sind gerade die anderen, die unsere emphatische Teilhabe oft besonders brauchen. Es geht um nicht weniger, als dass jeder, egal ob Kind, Jugendliche oder Erwachsener unser Mitgefühl verdient, unabhängig vom ersten Eindruck, dem Aussehen und Verhalten. Nur so behalten wir ihn oder sie als Mensch in seiner Ganzheit im Auge.
Quelle der Studie: