Welche Bedürfnisse eines Kindes sind wirklich wichtig?

  1. Erziehung im Wandel
  2. Welche Bedürfnisse eines Kindes sind wirklich wichtig?
  3. Wie gelingt es Eltern, die Bedürfnisse hinter dem Verhalten ihres Kindes zu erkennen?

Von bindungsfreundlicher Erziehung, „guter“ Autorität und Elternstress. Eine Miniserie zur aktuellen Erziehungsdebatte in drei Blogbeiträgen.

Auch bei der „bindungsorientierten Erziehung“ geht es um Bedürfnisse und zwar um solche, deren Erfüllung jedem Kind von Beginn seines Lebens an eine gute Bindung zu seinen Eltern ermöglichen. Ich nenne sie, weil sie so bedeutend für die gesunde Entwicklung jedes Kindes sind, für das Kind „existentiellen Bedürfnisse“. Eltern sollten ihnen, soweit es die äußeren Umstände erlauben, möglichst oft entgegenkommen. In einzelnen geht es um folgende elementare Bedürfnisse eines Kindes: (1) Das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit: „Egal was auch passiert, ihr seid für mich da, ich kann euch vertrauen.“ (2) Das Bedürfnis nach Resonanz: „Ich werde gehört und gesehen.“ Das Bedürfnis nach Anerkennung: „Ich bin wertvoll für euch.“ Das Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit: „Was ich mir vornehme, das gelingt mir auch, nicht immer, aber doch meistens.“ Finden diese Bedürfnisse in der frühen Kindheit genügend Beachtung, ist der alltägliche Umgang mit solchen Kindern im Übrigen auch viel entspannter. Mit anderen Worten: Gerade solche Kinder, die in einer bindungsfreundlichen Atmosphäre aufwachsen, machen, salopp ausgedrückt, weniger Ärger, bereiten ihren Eltern weniger Stress. Sie fühlen sich im Großen und im Ganzen sicher, geborgen und so, wie sie sind, akzeptiert, weswegen sie mit Enttäuschungen oder der Ablehnung von spontanen Wünschen meistens viel gelassener umgehen können – und dies auch in einer für sie fremden Umgebung. Sie tragen den „sicheren Hafen“ ihrer Eltern wie eine Schutzfunktion in sich. Davon profitieren auch ihre Eltern, denn es kommt im Erziehungsalltag zu weitaus weniger Konflikten als mit Kindern, die in einer bindungsarmen Atmosphäre aufwachsen und die immer darum kämpfen müssen, gehört und gesehen zu werden. Außerdem verlernen Kinder, deren Eltern sich ständig um sie kümmern, ihnen stets jeden Wunsch von den Augen ablesen, selbstständig zu werden bzw. angemessen mit Konflikten umzugehen. So, wie Eltern lernen müssen, einmal loslassen zu können, müssen es auch ihre Kinder lernen!         

Was passiert, wenn die existenziellen Bedürfnisse eines Kindes nicht erwidert werden?

Kinder, deren existenzielle Bedürfnisse nur unzureichend begegnet wird, greifen mit ihren Versuchen, von Geburt an eine sichere Brücke hin zu ihren Eltern zu bauen, zu oft ins Leere. Ihre innere Welt ist von Unsicherheit und Verlustängsten bestimmt. Sie fühlen sich abgelehnt und zunehmend wertlos. Manche von ihnen ziehen sich ängstlich vor der Welt, die sie für sich als bedrohlich erleben, zurück, die meisten, zumindest wenn sie noch klein sind, aber unternehmen alles, um endlich gehört und gesehen zu werden, und für andere so sichtbar zu bleiben. Mit leider oft kontraproduktiven Mitteln suchen sie dann bei sich zuhause, später auch in der außerhäuslichen Betreuung oder in der Schule ständig nach Aufmerksamkeit. Um sie zu bekommen, „stören“ sie, werden laut oder auch aggressiv – Hauptsache, „jemand kümmert sich um mich!“ In den meisten Fällen stoßen sie damit jedoch auf Ablehnung, ein Gefühl, das sie zuhause bei ihren Eltern bereits kennengelernt haben. Ein Teufelskreis entsteht und es ist schwierig für sie, dort wieder herauszufinden. Deswegen plädiere ich auch für bindungssichere Kitas und Schulen, um den Kindern ein wenig von dem zurückzugeben, was sie bei sich zuhause gar nicht oder nur zu wenig kennengelernt haben. 

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

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