Bindung und Bindungsprozesse vor und in der Schwangerschaft, Teil 2: Das erste „Zuhause“: Die Bindungsgeschichte des Kindes beginnt schon in der Schwangerschaft

 

 

Von Dr. Claus Koch

Auch wenn die Bindungsforschung davon ausgeht, dass sich eine „echte“ Bindung als wechselseitiger Prozess zwischen dem Säugling und seinen wichtigsten Bezugspersonen erst ab etwa dem sechsten Lebensmonat konstituiert, finden bereits vor der Geburt und besonders während der Schwangerschaft bindungsähnliche Prozesse zwischen dem Ungeborenen und seinen künftigen Eltern, besonders der Mutter, statt, die für die Bindungsgeschichte des Babys und Kleinkindes von großer Bedeutung sein können. In fünf Blogbeiträgen stellen wir in den nächsten Wochen die wichtigsten Passagen eines Vortrages vor, den Claus Koch auf der 6. Fachtagung „Frühe Hilfen“ im September dieses Jahres in Hofheim am Taunus hielt.     

Nachdem, wie im ersten Teil des Beitrages zu Bindungsprozessen vor und während der Schwangerschaft bereits erwähnt, schon vor der Zeugung eine Beziehung zum Kind existiert, kommt es in der Schwangerschaft zwischen Fetus und Mutter und auch zum anwesenden Vater zu einer bestimmten Art von Bindung, auch wenn sie noch nicht, wie die Bindung nach der Geburt, von „Angesicht zu Angesicht“ entsteht und auf diese Weise ausgelebt werden kann. Im Gegensatz zu später ist diese Form der Bindung noch nicht genau erfassbar oder messbar, zumindest nach strengen wissenschaftlichen Kriterien, und dennoch deutet Vieles darauf hin, dass sie für spätere Bindungsprozesse eine Rolle spielt.

Im Gegensatz zu früher wissen wir heute, dass sich das Neugeborene nicht nach einem mehr oder weniger festgelegten Bauplan und unabhängig von irgendwelchen Umwelteinflüssen in der Gebärmutter entwickelt, sondern in der Gebärmutter durch äußere Beziehungen bereits „sozialisiert“. Die wichtigste Beziehung ist in diesem Stadium sicherlich die des Kindes zur Mutter. Mütter werden Mütter, wenn sie das Kind empfangen haben und nicht erst nach der Geburt. Ihre Gebärmutter ist wirklich das erste „Zuhause“ des Kindes, sein erstes „Zimmer“, die erste „Basisstation“ oder der erste „Sichere Hafen“, von dem aus es die Welt kennenlernt und auch hier bereits aktiv erkundet.

Hier hört das künftige Baby zum ersten Mal die Stimme seiner Mutter, an die es sich, das haben wissenschaftliche Studien gezeigt, auch nach seiner Geburt erinnert. Es hört ihre Lieder, denen es sich, auf die Welt gekommen, oft besonders zuwendet, weil es sie wiedererkennt. Kaum auf der Welt, kann es zwischen mütterlichen Lauten und anderen Stimmen sehr genau unterscheiden. In seinem ersten Zuhause hört es auch die Stimmen derer, mit denen seine Mutter spricht. Dabei vernimmt es freundliche und sanfte Töne, die es beruhigen und aufhorchen lassen und die eine wohltuende Vertrautheit mit seiner Umwelt herstellen. Förderlich ist hierfür das zärtliche Gespräch mit ihm: „Geht es dir bei mir gut, mein Baby“,Kann ich irgendetwas für dich tun, dass es dir bei mir gefällt?“ Auch können beide Eltern schon mit ihrem Kind sprechen. Solche Sätze müssen gar nicht wörtlich gemeint sein, aber sie vermitteln schon jetzt Sicherheit und Geborgenheit, die Grundlage und Voraussetzung einer jeder guten Bindung. Man könnte auch sagen: Sie sorgen für ein entspanntes „Binnenklima“. Ist dies der Fall, sind beste Voraussetzungen geschaffen, dass sich das Kind, so, von dem man noch gar nicht so viel weiß, wie es später einmal aussehen wird, was seine Vorlieben sein werden, womit es sich besonders gern beschäftigt, als „wertvoll“ anerkannt fühlt.

Claus Koch

Dr. phil. (Psychologie), Diplompsychologe. Bis Juli 2015 Verlagsleiter für den Bereich Sachbuch und Elternratgeber beim Beltz Verlag in Weinheim. 2015 gründete er zusammen Udo Baer das „Pädagogische Institut Berlin“ (PIB). Jahrelange wissenschaftliche Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Entwicklungspsychologie des Kindes und Jugendlichen unter psychoanalytischen und bindungstheoretischen Gesichtspunkten, u.a. mit einem Lehrauftrag an der Universität Bielefeld. Publizist und Autor. Zahlreiche Vorträge, Buchveröffentlichungen und Artikel in Fachzeitschriften. Vorstandsmitglied des „Archiv der Zukunft“ (AdZ).

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Karin Krick

    Diese ganzen Beiträge zur Bindung vor und nach der Schwangerschaft haben mich sehr berührt und ich habe gedacht: Endlich spricht jemand darüber, endlich bemüht sich jemand darum,diese wichtigen Prozesse ,die sich so im verborgenen abspielen, aber so wichtig und lebensweisend sind, zu benennen. Danke vielmals!
    Nadine und ich sind im Moment damit beschäftigt einen Verein zu gründen:“Bindung von Anfang an“. Wir sind beides Therapeutinnen, in eigener Praxis, die im primären Eltern-Baby-Kind Bindungsfeld arbeiten und diese ganz frühe Bindung liegt uns echt am Herzen. Ich musste auch schmunzeln als ich den Namenvon Udo Baer gelesen habe: vor vielen Jahren habe ich in der Zukunftswerkstatt die Ausbildung zur Tanz-und Bewegungstherapeutin gemacht…mit liebem Gruss Karin Krick

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