Was brauchen Kinder, wenn Eltern, Geschwister, Großeltern erkrankt sind? 5. „Wir müssen jetzt stark sein!“

Ja, wenn Menschen in einer Familie schwer oder chronisch krank sind, braucht die Familie Stärke, sowohl die erkrankten Menschen als auch die anderen Familienangehörigen. Man muss sich kümmern. Man muss vieles besorgen, auch wenn man vielleicht gerade nicht die Kraft dazu hat. Man möchte die Menschen, die man mag und liebt, unterstützen. In Notsituationen ist Stärke gefragt. Besonders bei langwierigen oder chronischen Erkrankungen, in denen über einen längeren Zeitraum familiäre Handlungen und Haltungen notwendig sind, um die erkrankte Person zu begleiten. Das ist die eine Seite.

Die andere Seite besteht darin, dass Menschen nicht nur stark sein können. Sie brauchen auch Ruhepausen, Ablenkung und Erholung. Wenn Erwachsene den Kindern nur vorleben oder sogar predigen, dass sie stark sein müssen, lernen die Kinder, dass Erwachsene immer stark sein müssen und nie Schwäche zeigen dürfen. Das schränkt ihre Lebensmöglichkeiten ein, vor allem die Möglichkeiten, glücklich zu sein, als Kinder wie auch später als Erwachsene. Kinder sollten auch von Erwachsenen hören können: „Ich kann eigentlich nicht mehr – UND ich mache weiter.“ Oder: „Ich brauche jetzt einmal eine Pause.“ Stark zu sein und Schwäche zu zeigen und sich auch zu gönnen, muss sich nicht widersprechen. Da gibt es kein Entweder/Oder, sondern ein großes UND. Das ist wichtig für die Kinder, aber auch für alle anderen Familienangehörigen.

Udo Baer

Dr. phil. (Gesundheitswissenschaften), Diplom-Pädagoge, Kreativer Leibtherapeut AKL, Mitbegründer und Wissenschaftlicher Berater der Zukunftswerkstatt therapie kreativ, Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für soziale Innovationen (ISI) sowie des Instituts für Gerontopsychiatrie (IGP), Vorsitzender der Stiftung Würde, Mitinhaber des Pädagogischen Instituts Berlin (PIB), Autor

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Kerstin Glunz

    Hallo Udo Baer!
    Vielen Dank immer wieder für das „und“. Ich hatte das vorher schon, aber noch nicht so deutlich. Oder es war eher ein „aber“. Ein „und“ ist wirklich sehr wichtig. Beides kann da sein, ohne sich auszuschließen. Ich selber bin freiberufliche Systemische Therapeutin und als einige von wenigen im ambulanten Bereich für Familien mit Essstörungen wie Anorexie tätig. Um ihre Kinder effektiv in die Gesundung führen zu können, müssen Eltern stark sein UND sie sind zwischendurch auch schwach. Ich habe in meiner Praxis z.B. auch Frauen, die ein schlechtes Gewissen haben, dass sie noch nicht wissen, ob sie ihren Mann verlassen sollen, obwohl er ihr und ihren Kindern nicht gut tut. Auch da: Der Mann kann auch nett und fürsorglich sein UND er kann abwertend, gewalttätig sein. Es gibt Gründe zu bleiben UND es ist wichtig zu gehen. Das UND gibt es immer und immer wieder, auch im privaten Bereich.
    Ich kenne Sie gar nicht, habe nur einiges von Ihnen gehört, als ich die Fachfortbildung Essstörungen in der Zukunftswerkstatt kreativ in Duisburg gemacht habe. Einmal habe ich Sie online bei einer kurzen Fortbildung gesehen. Ich glaube, dass Sie ein wunderbarer und reflektierter, ja weiser Mensch sind mit viel Lebenserfahrung, der anderen Menschen viel mitgeben kann. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die andere hochloben, ganz sicher nicht. Aber ich glaube, dass meine Einschätzung bei Ihnen passt. Und: Ich bin auch stolz auf mich, weil ich durch viel Lebens- und Beruferfahrung vielen Menschen helfen kann. Ich mache das mit Herzblut, vor allem seit meiner Sebstständigkeit. Ich glaube, dass auch Sie mit Herzblut Ihre Arbeit machen. Es ist wahrscheinlich eher Ihre Berufung.
    Ich wünsche Ihnen mit Ihren Lieben schöne Feiertage und ein gesundes und zufriedenes Jahr 2025!
    Kerstin Glunz

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