Nach meinen Beobachtungen hat die Unfähigkeit mancher Erwachsener, ihren Kindern gegenüber Grenzen zu setzen, mit eigenen Erfahrungen vor allem in der Kindheit und Jugend zu tun. Vor allem drei solcher Erfahrungen sind mir begegnet:
- Manche Erwachsene haben Grenzen als Berliner Mauer erfahren mit Selbstschussanlagen und dergleichen mehr. Alles wurde verboten. Die Freiheit wurde eingeschränkt. Sie wuchs oft nur in der Fantasie. Diese Erwachsenen haben sich geschworen, nie so wie ihre Eltern zu werden oder wie die Erwachsenen, die ihnen das angetan haben. Also verzichten sie völlig auf Grenzsetzungen. Letzten Endes bestimmen damit aber die Erwachsenen, die sie so eingeschränkt und erniedrigt haben, immer noch über ihr Handeln.
- Manche Menschen sind in ihrer Kindheit und Jugend in einer Atmosphäre und Umgebung der Leere aufgewachsen. Wenn sie nicht gehört oder überhört werden, wenn ihr Blick nicht erwidert wird, wenn sie sich anlehnen wollen, aber niemand sie hält, wenn sie greifen, und da ist niemand – dann empfinden sie das als Leere. Leere hat kein Oben und Unten, kein Rechts und Links, keinen Anfang und kein Ende. Leere ist grenzenlos. Wer selbst keine Grenzen erfahren hat, vor allem keine positiven und respektierenden Grenzen, hat oft Schwierigkeiten, selbst gegenüber anderen, Erwachsenen wie Kindern, Grenzen zu setzen.
- Manche Eltern oder auch pädagogische Fachkräfte wurden geschlagen oder haben in anderer Weise aggressives Handeln erdulden müssen. Grenzen zu setzen, ist für sie mit Schmerz verbunden. Und diesen Schmerz wollen sie ihren Kindern nicht zufügen. Also setzen sie keine Grenzen und lassen alles geschehen, was die Kinder wollen. Die Folge ist, dass diese Kinder oft ins Leere gehen und keinen Rahmen und Halt erfahren.
Wer solche oder andere negativen Erfahrungen mit Grenzen erlebt hat, sollte mit anderen darüber reden. Sich auszutauschen, hilft Ihnen. Es unterstützt Sie auch, zumindest ein wenig Abstand zu gewinnen von dem, was mit Ihnen geschehen ist. Der nächste Schritt besteht dann darin herauszufinden und auszuprobieren, was für Sie selbst angemessen und richtig ist. Dabei geht es darum, weder das zu wiederholen, was Sie erleben mussten, noch das genaue Gegenteil zu praktizieren. Denn beides gibt denen, die Ihnen Leid zugefügt haben, immer noch Macht. Der Weg, den eigenen Umgang mit Grenzen herauszufinden, ist nicht leicht, aber er lohnt sich. Er führt über das Ausprobieren.